Samstag, 8. Juni 2013

Auf dem Campus und den Straßen...

Still wars hier auf dem Blog in der letzten Zeit. Einen Monat ist seit meinem letzten Eintrag über Guatemala vergangen und gut 2 Monate seit den letzten News aus San Salvador. Zeit für Neues!
Die höllische Hitze hat hier mittlerweile etwas abgenommen, was einen die Luft wieder atmen lässt. Stattdessen zerreißen immer häufiger rollende Donner den wolkigen Himmel und wie aus dem Nichts prasseln Wolkenbrüche vom Himmel, natürlich immer genau dann, wenn ich meinen neu erstandenen Regenschirm nicht zur Hand habe. 
Die Uni nimmt mich zur Zeit ziemlich in Beschlag. Ende des Monats geht das erste Semester zu Ende. Die Zeit fliegt nur so vorbei. Eine Hausarbeit nach der anderen steht deshalb gerade an. Ich genieße förmlich die Momente, die ich nicht vor meinem Laptop verbringe, daher auch die längere Blog Pause.
Seit 4 Monaten lebe ich nun hier in San Salvador, an der geschäftigen Calle del Mediterráneo, direkt neben der UCA in Antiguo Cuscatlán. Aus meiner kleinen Studentenbude breche ich jeden Morgen aus und mache mich auf den Weg zu meiner Fakultät. Brauchte ich anfangs keine 5 Minuten bis dorthin, schaffe ich es nun kaum mehr unter einer halben Stunde bis ich in der Bibliothek sitze. "Hey Nachbar, wie gehts?", ruft mir die Besitzerin der Pescadería von nebenan zu. 20 Schritte weiter reißt mich Doña Viky aus meinen Gednaken: "Adios! Nicht mal grüßen tun Sie heute! Alles Gute!" und lacht schallend. Es folgt ein Intermezzo im Copy-Shop, der Small-Talk mit dem Uni-Pförtner, vorbei an der Cafetería, wo die Señora bereits seit 6.30 fleißig bedient. Dann zielstrebig Richtung "Centro Monseñor Romero", fast bin ich da. In der Bibliothek warten schon Hugo, Oscar und Evelin hinter dem Tresen und grüßen freundlich und unter 5 Minuten ist auch hier nichts zu machen.
Lebensgefühl pur! Es ist schön, durch die Straßen zu gehen die mich vor einigen Wochen noch laut lärmend anschwiegen und nicht mehr fremd zu sein. Ich bin angekommen!

Der erste große Auftritt im Auditorium "Ignacio Ellacuría"

Abendessen auf dem Vulkan mit Aussicht auf die Stadt

Auch außerhalb des Studiums ist recht viel passiert in der letzten Zeit. Seit einigen Wochen gebe ich mein bestes den Tenor im Chor der UCA zu verstärken. Kaum dabei, hatten wir bereits eine Vielzahl von Auftritten, Messen, Abschlussfeiern, Festakte. 
Ausgehend von verschiedenen Veranstaltungen zum Thema Bergbau, Umwelt und Entwicklung hier an der UCA habe ich mit einigen StudentInnen gemeinsam SomosTutal gegründet ("Tutal" ist Nahuat, die fast vergessene Sprache der hiesigen Azteken und bedeutet "Unsere Erde"), eine Aktionsgruppe die sich auf lokaler Ebene mit globalen Themen wie Bergbau, Wasserknappheit, Klimawandel und Entwicklung beschäftigt. Unser vorläufiges Ziel ist es unter den Studierenden der UCA ein Bewusstsein für aktuelle Probleme hier in El Salvador und der Welt zu wecken. Derzeit gibt es keinen Bergbau in El Salvador, kanadische Minengesellschaften sitzen jedoch bereits  auf heißen Kohlen und warten nur darauf in der Provinz Cabañas Gold im Wert von 400 Mio. US$ abzubauen. Da beim Goldabbau notwendigerweiße Quecksilber eingesetzt wird, besteht akute Gefahr für den Río Lempa (Fluss), der Süßwasserquelle für ca. 90% der Bevölkerung El Salvadors. Der Fluss ist bereits stark verschmutzt durch Minenprojekte in Guatemala und Honduras, wo der Lempa entspringt. Aktuell sind lediglich 2% des Trinkwassers in El Salvador sauber und nicht betroffen von der Verschmutzung durch Quecksilber, Arsen etc., 2% für man galonen- oder flaschenweiße teuer bezahlt. Neue Bergbauprojekte scheinen vor diesem Hintergrund absurd. Dabei rechnet man jedoch nicht mit dem Geschick der multinationalen Minenunternehmen, die den Menschen den Bergbau mit allen Mitteln schmackhaft machen. Goldminen bringen Arbeit, Infrastruktur, Entwicklung für die Region und das Land. Das Wirtschaftswachstum wir ganz von alleine dafür sorgen, dass der Überschuss auch bei den Armen ankommt. Das alte Lied, die alte Lüge des Neoliberalismus. Vergessen wird dabei, dass ein Unternehmen nie Überschüsse produziert, sondern Gewinne sofort in weiteres Wachstum investiert. Vergessen wird auch, dass die Korruption (übrigens eine Krankheit nicht nur der Politker der "Dritten Welt" sondern des großen Kapitals) dafür sorgt, dass die Gewinne in dunklen Kanälen versickern bevor sie beim Volk ankommen. Vergessen wird ebenfalls, dass eine Arbeit die einem für 15 Jahre ein gutes Einkommen und Auskommen verschafft nichts wert ist, wenn man das Blei, das Arsen und das Quecksilber in Blut und Knochen gratis dazubekommt und, wenn man viel Glück hat, einen schnellen und nicht allzu grausamen Tod stirbt. Was die Bergbaugesellschaften der Bevölkerung auch nicht sagen ist, dass der Boden und das Wasser über Jahrzehnte verseucht und unbrauchbar sein werden. Bis heute sterben Jugendliche und Kinder an Nierenversagen in Cabañas als Folge des Goldabbaus in der Region in den 1980er Jahren. Der Gipfel der Unerhörtheiten ist noch nicht erreicht wenn man fragt wieviel der Gewinne des Goldabbaus denn im Land bleibt und zur Antwort bekommt, dass die Unternehmen 2% an Steuerabgaben bezahlen müssen, was bedeutet dass von den 400 Mio. US $ lediglich 8 Mio. US$ in El Salvador bleiben würden. Der Gipfel ist erst erreicht, wenn man sich auf der Zunge zergehen lässt, dass das kanadische Bergbauunternehmen "Pacific Rim" die Republik El Salvador vor einem amerikanischen Gericht auf 80 Mio. US$ verklagt für bereits getätigte Investitionen in der Exploration und sich dabei auf das Freihandelsabkommen zwischen El Salvador und den USA berufen und auf ihr "Recht" die salvadorianischen Bodenschätze auszubeuten. 
Was wie die Handlung eines schlechten Mafia-Thrillers klingt, ist in Wahrheit Alltag und heißt neoliberaler, globaler Kapitalismus. Das trojanische Pferd der "Entwicklung" bringt an immer mehr Orten der Welt Armut, Tod und Verderben. Darüber offen zu sprechen ist heutzutage auch in den vorbildlichsten Demokratien gefährlich. Wenngleich es dem kritischen Wirtschaftsanalytiker in Deutschland nicht gleich das Leben kostet, sondern vielleicht lediglich seine Reputation, mit dem Bauern oder dem kleinen Umeweltaktivisten in Brasilien, Bangladesh, Kongo oder El Salvador wird kurzer Prozess gemacht. In der Provinz Cabañas wurden den vergangenen zwei Jahren 4 Menschen, die sich offen, aber friedlich gegen die kanadische "Pacific Rim" gerichtet haben ermordet, darunter ein zweiundzwanzigjähriger Student, der Protestplakate aufgehängt hatte. Wer steht hinter den Morden? Wer hat sie ausgeführt? Was sind die Motive? Hier beginnt das große Schweigen. Angesichts der Tatsache, dass lediglich 2% der Gewinne im Land bleiben und die restlichen 98% in den gläsernen Wolkenkratzern der ausländischen Unternehmen verschwinden, wohlgemerkt, dass auch die Aktionäre der Deutschen Bank, der Commerz Bank und so weiter ihren Happen abbekommen, angesichts dessen eben hört dieses Problem auf ein rein salvadorianisches oder mittelamerikanisches Problem zu sein und beginnt uns alle anzugehen. Mit SomosTutal haben wir es uns zur Aufgabe gemacht dieses Thema, zwar mit der nötigen Vorsicht, wohl bedacht und kreativ aber entschieden in der hiesigen Gesellschaft zum Thema zu machen.
Wir fangen da gewiss nicht bei null an, wie die Demo zum Welttag der Umwelt diesen Donnerstag gezeigt hat. Gemeinsam mit ca. 7000 Menschen aus allen Provinzen El Salvadors, aus Guatemala und von ausländischen NGOs sind wir gut zwei Stunden durch das Stadtzentrum von San Salvador bis vor das Parlament gezogen. Bauerngemeinschaften, Pfarrgemeinden, indigene Tanzgruppen, Trommlergruppen, Schüler, Studenten und viele mehr demonstrierten gemeinsam für das Recht auf Wasser, gegen die Zerstörung und Vergiftung durch Bergbauprojekte und für eine gerechtere Weltordnung. 
Das weltweit in Entwicklungsländern abgebaute Gold wird zum allergrößten Teil zu Schmuck verarbeitet und in Form von Goldbarren als Geldreserve eingelagert. Allein in Deutschland schlummern rund 3500t Gold in Banktresoren. Während die Regierungen Europas angesichts der "Krise" fleißig weiter Gold und "Sicherheiten" kaufen, glänzen die Goldbarren und schlummern einen unruhigen Schlaf, denn sie wissen, sie haben Tausende von Menschen ins Verderben gestürzt.

Bewusstseinsarbeit an der Uni...

...und auf der Straße

"Ohne Wasser, kein Leben - mit Minen, kein Wasser"


Los gings von der Plaza del Salvador del Mundo bis zum Parlament

Kreativ ist der Widerstand :)

Der Verkehr lag lahm als eine Welle von 7000 Menschen das Zentrum erfasste.

Die Bewegung der indigenen Bevölkerung ist mit dabei!




Der sommerliche Platzregenschauer hat mittlerweile aufgehört, die Luft duftet nach Sommer und lässt mich nicht länger auf meinem Stuhl sitzen. Ich muss raus. El Salvador hat mir meine Unruhe zurückgegeben. Eine Unruhe, die mich zuletzt auch zu den Kindern der "22 de Abril" geführt hat, von denen ich beim nächsten mal berichten werde.
Beste Grüße aus San Salvador in die Welt. Ich hoffe euch geht es allen gut und Deutschland hat die größten Fluten überstanden. Dieses Wochenende also endlich ALLE, Sonne genießen!!! :)