Freitag, 26. April 2013

Guatemala, ewiges Land der Maya (Teil 4)

Ich muss den Kopf einziehen als ich über die schmale Türschwelle trete. Im Inneren der Kammer ist es halbdunkel, an der Wand ist ein reich geschmückter Altar aufgebaut, darüber hängen Fotographien der Familie. Don Juna, einer der vielen Juans in Chwikaqá, weit in seinen Achtzigern, erwartet uns zusammengesunken auf einem Stuhl. An diesem Vormittag wollen wir einige der ältesten und kranken Dorfbewohner besuchen, die aufgrund ihrer körperlichen Verfassung kaum noch das Haus verlassen und schon gar nicht den Weg ins Dorfzentrum zur Feier der Kartage gehen können. Der andere Juan sowie ein weiteres Gemeindemitglied, die uns auf den Besuchen begleiten, stellen uns der Familie vor. Alle freuen sich sehr über die Überraschung. Der alte Mann leidet an einer vermutlich rheumatischen Erkrankung und hat starke Schmerzen in den Gliedmaßen, er kann kaum laufen. Dennoch hat er ein Lächeln auf dem Gesicht und dieses magische Leuchten in den Augen, das mir hier noch häufiger begegnen soll. Spanisch spricht er kaum, weshalb Juan (der Gemeindekoordinator, in dessen Familie ich wohne) alles auf Quiché übersetzt. Agustín spendet ihm die Krankenkommunion und wir werden gebeten für den Kranken zu beten. Jeder solle zunächst in seiner Muttersprache beten und danach auf Spanisch, was wiederum von Juan ins Quiché übersetzt wird. Wir bitten um Gesundheit, um Frieden und Harmonie in der Familie, eine gute Ernte, alles was man hier zum Leben braucht. Wir beten auf Spanisch, Deutsch, Kroatisch, Quiché. Alles ist gut, keine Fragen nach der Form, nach dem Gott, der Religion. Die Welt wird eine in diesem Land der Maya. Der alte Juan hat Tränen in den Augen. 
Die Familie ist sehr dankbar und man serviert uns, wir trauen unseren Augen kaum, Pan panela und Atol de maza. Immernoch gefüllt von dem dreifachen Frühstück schlürfen wir den warmen Maisbrei aus und knabbern mühevoll am Brot. Den Rest lassen wir uns einpacken, denn die Gabe zurückzuweisen wäre unhöflich. Wir verabschieden uns machen uns auf den Weg zum nächsten Haus. Wir wiederholen die Zeremonie im Haus eines blinden Mannes von angeblich 95 Jahren (der Umgang mit Zahlen allgemein ist in diesen Dorfgemeinschaften oft recht kreativ und symbolisch).
Auf dem Rückweg in den Ortskern, über steile und steinige Pfade vorbei an fruchttragenden Apfel- und Pfirsichbäumen und begleitet vom Blöken der Schafe und Ziegen beginnt es uns zu dämmern. Es ist bereits nach 12 Uhr, früher oder später wird es Mittagessen geben. Ich konnte in diesem Moment nicht einmal ans Essen denken. Musste ich auch nicht denn ehe ich mich versah fand ich mich im Haus der Familie von Pedro und Katti, zwei der Jugendlichen des Dorfes wieder, und hatte einen Teller voller Reis mit Bohnen und Salat vor mir. Eigentlich hatte ich nicht vor soviel von Essen zu schreiben, aber es ist einfach die Haupttätigkeit an diesem Tag. Glücklicherweise ist es sehr sehr lecker und die Familie einfach der Knüller. Die Eltern betreiben mehrere Läden im Ortskern von Chwikaqá und die Kinder studieren teilweise an der Uni in Santa Cruz. Es ist eindeutig eine der besser gestellten und gebildeteren Familien der Gemeinde. Alle sprechen einwandfrei Spanisch, kennen das Leben in der Stadt und haben obendrein einen köstlichen Humor. Tat der Bauch nicht ohnehin schon vor Fülle weh, so schmerzt er spätestens jetzt von Lachen. Trotz der Aufgeschlossenheit legen alle in der Familie großen Wert auf die Bewahrung ihrer Kultur. Die Frauen tragen selbstverständlich die Maya-Tracht und zahlreiche Familienmitglieder sind im Kulturkommitee der Gemeinde engagiert. 




Zurück im Gemeindezentrum, der Unterkunft von Agustín, Estela und Mariza, geht nichts mehr. Erschöpft fallen wir auf das Matrazenlager, müde vom Essen, den Begegnungen, den Wegen, aber glücklich. Die siesta ist unvermeidlich. Viel ist an diesem Tag nicht mehr mit uns anzufangen und glücklicherweise ist für den Nachmittag auch nichts mehr geplant. Zwei Stunden später, erfrischt und noch halb benommen, versammeln wir uns auf der Terasse und schlürfen nach alter argentinischer Tradition einen heißen Mate. Agustín und Estela sind, wie vermutlich jeder echte Argentinier, förmlich süchtig nach diesem bitteren und belebenden Kräutergetränk und schleppen das yerba mate kiloweise bis ans Ende der Welt. Und ich muss sagen hier in der späten Nachmittagssonne mitten im Hochland des Quiché kann man direkt auf den Geschmack kommen.
 Ich brauche Luft und Ruhe. Seit ich hier bin habe ich die Menschen beobachtet, die sich allein oder in kleinen Grüppchen an den Rand des Dorfplatzes setzen, um das Neueste auszutauschen oder einfach zu schweigen. Ich bin neugierig und will es ihnen gleich tun. Ich setze mich auf die untersten Stufen des Marktgebäudes, blicke in die langsam sinkende Sonne und lausche dem unverständlichen Gemurmel der Menschen. Ich werde eins mit dem Platz, den Bergen, der Menschheit, der Sonne, der Erde. Ein Geheimnis, das ist Maya.
Langsam füllt sich der Dorfplatz. Auf vollbeladenen Pickups kommen Bewohner der umliegenden Dörfer an, die in Chwikaqá die Kartage mitfeiern wollen. Die Abendsonne lässt die wunderschönen Trachten der Maya Frauen in sanftem Gold erstrahlen. Gemeinsam mit den ruhigen Klängen aus einer Musikanlage lässt sie die Plaza in einer einzigartigen Melancholie versinken. 
Ich schrecke hoch als die Soldaten im Stechschritt die Plaza betreten. Im Licht der Fackeln glänzen ihre Helme. Sie suchen einen Jesus von Nazaret, finden ihn im Kreis seiner Jünger und verhaften ihn begleitet vom Gebrüll der Menge. Wie in vielen Gemeinden Lateinamerikas, hatten die Jugendlichen eine Darstellung der Passion Christi vorbereitet. Die Idee war es, kleine Episoden zu präsentieren, entsprechend dem jeweiligen Tag. Heute Abend stand neben der Gründonnerstagsmesse das letzte Abendmahl und die Verhaftung im Garten von Gethsemane an. Waren die Dorfbewohner zunächst skeptisch gegenüber diesem Pilotprojekt der Jugendgruppe, stockt ihnen bald der Atem und sie werden mitgerissen im Strudel der Geschichte. Nach der Messe mit Fußwaschung sollte es eine zweistündige eucharistische Anbetung in der Kirche geben. Da dies nicht gerade meine bevorzugte Form der Spiritualität ist, ziehe ich es vor auf dem Platz vor der Kirche einen warmen Apfelpunsch zu trinken. Es ist bereits wieder sehr kalt. Ich sauge diese Momente mit den Kindern, den Señoras und Señores auf der spärlich beleuchteten Plaza, die Gespräche, die Farben, das Lachen förmlich in mich auf. Wer weiß wann sie wieder kommen.
An diesem Abend schlafe ich gut ein, schlafe tief und weiß ich bin ein Teil vom Einen.



Freitag, 19. April 2013

Guatemala, ewiges Land der Maya (Teil 3)


"Tock, tock, tock..." Kräftig klopft es an die Zimmertüre. "Sie können jetzt aufstehen!", ich erkenne die freundliche Stimme von Juan wieder. Ich drehe mich um. Durch die schmalen Ritzen über der Tür fallen einzelne, verirrte Lichtstrahlen ins Zimmer. Draußen ist es schon hell. Ich winde mich unter den paar Lagen Wolldecken hervor, richte mich auf und trete ins Freie. Im Innenhof herrscht bereits reges Treiben. Die beiden Kleinsten jagen vergnügt die Küken im Kreis, zum Verdruss der Henne, und Andrés widmet sich am Waschtisch mit nacktem Oberkörper der Morgentoilette. Als ich selbst nach dem Wasser greife, gefriert mir fast das Blut in den Adern. Andrés lacht. Auch in der Küche hat das Tagesgeschäft bereits begonnen. Im Ofen prasselt bereits ein vielversprechendes Feuer. Isabel und Candelaria gehen Mutter Sandra zur Hand und lächeln mich schüchtern an als ich eintrete. "Saq' ariq! (Guten Morgen) Haben Sie gut geschlafen?" Das habe ich. Heute ist Gründonnerstag. Wie mir Andrés erklärt ist es an diesem Tag Brauch ein bestimmtes Brot zuzubereiten. Das pan panela ist ein rundes Maisbrot, das in warmen Zuckerrohrsirup getaucht und eingeweicht wird. Die panes werden dann jeweils auf einem Teller vom erstgeborenen der Familie an die Nachbarn, Freunde und Familienmitglieder verschenkt. Andrés bedeutet mir mitzukommen. Wir verlassen das Haus durch die Hintertür und treten auf einen schmalen Pfad. Der Himmel ist blau, keine Wolke weit und breit. Ich atme tief ein. Die frische, kühle Bergluft flutet meine Lungenflügel bis in den letzten Winkel. Ich bin wach. Obwohl es erst 7 Uhr ist, ist bereits recht viel Leben auf den Straßen. Eine ältere Frau fegt ihren Hauseingang, eine Horde Kinder läuft kichernd um die Wette, zwei junge Frauen balancieren elegant große Tongefäße auf ihren Köpfen. Das Sirupkännchen in der Hand folge ich Andrés um zwei Wegbiegungen, bis wir vor einem Haus stehenbleiben. "Hier wohnt mein Onkel mit seiner Familie.", erklärt er mir. Wir werden bereits erwartet und grüßen mit einem freundlichen „Uz nimaq ij“ (Frohes Fest). Wir übergeben das Brot und den Sirup an die Señora des Hauses und bekommen im Gegenzug ebenfalls einen Teller mit Brot. Außerdem bietet man uns eine Tasse heißen „atol de maza“, einen ungesüßten, dickflüssigen Maisbrei, an, der weniger ein Getränk als eine vollwertige Mahlzeit zu sein scheint. Wir bleiben ein Weilchen unterhalten uns und verabschieden uns bald wieder. Es geht zurück nach Hause, wo Mutter Sandra und die Mädchen bereits den nächsten Teller Brot vorbereitet haben. Weitere Häuser warten bereits. Das Haus der Großmutter, der Cousine, des Onkels. Überall wird das pan panela freudig ausgetauscht, das „uz nimaq ij“ euphorisch erwidert. 

Doña Sandra bereitet das pan panela zu


Mit Andrés unterwegs zu den Nachbarn


Auf den Wegen zwischen den einzelnen Stationen erzählt mir Andrés viel über das Dorf, das Leben hier und seine Familie. Früher sei die Luft hier in Chwikaqá sauber gewesen. Mittlerweile sei sie bereits verschmutzt, denn jeden Tag kommen hier auf der Straße Autos vorbei. Ich atme die für meine Verhältnisse reinste Bergluft ein und staune nicht schlecht. Die Natur und ihre Erhaltung haben hier eine existentielle Bedeutung für das Leben der Menschen. Jede Familie lebt von ihrem kleinen Stückchen Ackerland, auf dem sie Mais anbaut, die milpa. Bleibt der Regen zu lange aus, oder regnet es zu früh und zu viel geht die Ernte verloren mit fatalen Folgen für die Menschen. In den vergangen Jahren hat sich das Klima stark verändert, die Regen- und Trockenzeitperioden sind kaum noch vorhersagbar. Ein Phänomen, von dem mir Menschen in verschiedenen Teilen der Welt berichtet haben und das zumeist von der einfachen Landbevölkerung wahrgenommen wird, die unmittelbar vom Klima und seinen Launen abhängig ist. Was die Dorfgemeinschaften hier und anderswo erleben und erleiden kann keine Klimastatistik, kein Akademiker widerlegen und jeder Versuch erscheint angesichts der Realität zynisch. Hier zeigt sich bereits heute und ganz konkret das grausame Gesicht des globalen Klimawandels. Das gibt mir zu denken. Noch nehmen wir in den sicheren Konsumburgen des Nordens dies kaum war, doch die Tage des Erwachens werden kommen und dann wird es vielleicht schon zu spät sein.

La milpa kurz vor der Aussaat


Blick auf das Hochland des Quiché


Eigentlich seien die Menschen hier in Chwikaqá nicht arm, meint Andrés. In Santa María Chiquimula, dem Hauptort des Distrikts, sei dies anders. Es gebe eine Studie von Wissenschaftlern die besagt, dass Totonicapan das ärmste Departement Guatemalas sei und Santa María Chiquimula, eine Autostunde von Chwikaqá entfernt, die Kommune mit der größten Armutsrate in Totonicapan, weiß Andrés. Dort gibt es wenig Arbeit, die Menschen arbeiten auf dem Markt, in kleinen Werkstätten oder wandern in die Stadt ab, es gibt kaum Perspektiven. Hier in Chwikaqá hätten die Menschen noch ihre milpa (kleines Maisfeld) und seien unabhängig, versichert er nicht ohne Stolz in der Stimme. „Und selbst wenn jemand keinen eigenen Acker hat, kann er einen Nachbarn oder Freund um Arbeit auf seinem Feld bitten. Wir helfen uns hier gegenseitig. Wir sind eine große Familie“. Auch Banken gebe es hier nicht, fährt er fort. Seine Familie habe beispielsweise ein Schwein. Ein Ferkel ist hier sehr billig. Ganz nebenbei ziehe man das Schwein im Haus mit Essensresten groß bis man es schließlich verkaufe. „Eine ausgewachsene Sau bringt in etwa 1000 Quetzales [150€], das ist viel Geld!“ Das ‚Sparschwein‘, eine rentable Investition.
Wir erreichen das Haus einer jungen Frau, die uns mit ihrem etwa einjährigen Sohn freudig empfängt. Nach der fast zeremoniellen Übergabe des Brotes und einem kleinen ‚Schwätzle‘ (alemannisch für kurze Unterhaltung) kehren wir nach Hause zurück. Auf dem Weg erzählt mir Andrés, dass dies die Witwe seines Onkels war. „Vor etwa zwei Jahren waren mein Großvater gemeinsam mit dem damals 26 jährigen Onkel zum Arbeiten auf dem Dorffriedhof gewesen, als eine Gruppe von Männern sie überfiel und niederschoss. Großvater war sofort tot. Meinen Onkel brachten wir nach Santa Cruz ins Krankenhaus, doch auch er starb drei Tage später. Seine junge Frau war gerade schwanger mit ihrem ersten Kind.“ Ich bin sprachlos. Selbst vor dieser Abgeschiedenheit, in dieser fernen, schönen, vermeintlich friedlichen Welt macht die Gewalt nicht halt. Ich frage nach einem Warum. Andrés meint, es war vermutlich aus Neid oder Rache. Die Täter flohen nach der Tat, doch man weiß wer es war. Einer der Mörder lebt heute noch in der Gemeinde. Niemand unternahm etwas, keine Anzeige, keine Polizei. Es sei besser so, meint Andrés. Die staatliche Ordnungsgewalt genießt hier keinen guten Ruf und ist weit, weit weg. „Mein Großvater hat 76 Enkel und bis jetzt 24 Urenkel“, fährt er plötzlich heiterer fort. „Als mein Großvater noch lebte versammelten wir uns häufig zu Festen in seinem Haus und feierten manchmal drei Tage lang.“
Als wir schließlich das Haus der Familie wieder erreichen, treffen gerade auch Mariza, Estela und Agustín ein, die zum Frühstück eingeladen sind. Die Kinder haben ihre Schüchternheit verloren und freuen sich über so viel merkwürdigen Besuch am frühen Morgen. Doña Sandra serviert jedem von uns einen voll beladenen Teller pan panela und eine Tasse heißen atol. Ich kämpfe. Für mich ist es bereits das dritte Brot und die dritte Tasse des leckeren aber sehr nahrhaften Maisbreis. Agustín macht sich genüsslich über das vor Sirup triefende Brot her, bald schaut man am Tisch in glückliche und gesättigte Gesichter. Doña Sandra brät währenddessen Spiegeleier und rührt energisch in einem Topf auf der Feuerstelle. Agustín fragt sie interessiert: „Kochen Sie für das Mittagessen?“ Die Frau lacht herzhaft: „Nein! Das ist das Frühstück.“ Uns allen fällt die Kinnlade herunter. Frühstück? Ehe wir uns versehen hat jeder einen Teller mit Bohnen, Ei und Chili vor sich. „Das Brot war doch nur eine Zeremonie“, erklärt uns Juan lachend, „jetzt gibt’s Frühstück!“ Weitere 15 Minuten später kann ich mich kaum mehr bewegen. Ich lasse die letzte Tasse Maisbrei halbvoll stehen, es geht einfach nicht mehr. Halb lachend, halb weinend vor Bauschmerzen danken wir der Familie für die die Einladung und machen uns gemeinsam mit Juan und Andrés schwerfällig aber voll freudiger Erwartung auf den Weg in den Ortskern, wo heute einige Aktivitäten anstehen.



Mittwoch, 10. April 2013

Guatemala, ewiges Land der Maya (Teil 2)

Der Abend legt sich langsam, wie ein dunkles Tuch über die Plaza vom Chwikaqá. Das leichte T-Shirt, das tagsüber noch vor der stechenden Hitze und den brennenden Strahlen der Sonne geschützt hatte, kann nunmher kaum etwas gegen die ungeahnte Kälte ausrichten, die wie aus dem Nichts aufzieht, sobald die Sonne untergegangen ist. Schnell etwas wirklich warmes überziehen, wie ich es seit dem Tag meines Abflugs in Deutschland nicht mehr getan hatte, und wir werden zum Abendessen gerufen.
Als vor etwa einer Stunde angekommen waren, wurden wir bereits erwartet und die gesamte Gemeinde war in der Kirche zur Feier des Abendgottesdienstes versammelt. Wir nutzten die Gelegenheit uns kurz vorzustellen und einen ersten Eindruck von dieser offensichtlich so anderen Welt zu bekommen. Ich bin nicht mehr sicher ob ich schon von den wunderschönen Trachten der Mayafrauen geschrieben habe, den warmen und perfekt abgestimmten Farben der Wickelröcke und den blumenbestickten Huipiles (Oberbekleidung), den breitkrempigen Stroh- und Filzhüten der Männer, dem strahlenden Lächeln der Kinder. Man kann jedenfalls nicht genug davon schwärmen und ich werde mich diesbezüglich sicher wiederholen. Ein junger Mann aus dem Koordinatorenkreis der Gemeinde übersetzte unsere Vorstellung spontan aus dem Spanischen in die lokale Maya-Sprache, Quiché, einer von hunderten indigenen Sprachen und Dialekten, die bis heute in Mittelamerika von beträchtlichen Teilen der Bevölkerung gesprochen werden. Wie in vielen ländlichen Gebieten Guatemalas sprechen auch in Chwikaqá nur einige der gebildeteren Bewohner spanisch, vor allem die jungen Leute, aber auch einige Ältere, die als Händler viel im Land herumgekommen waren.




Das Abendessen wird uns an diesem Abend von der Familie von Don José, einem älteren und angesehenen Mann mit Halbglatze und buschigem Schnauzbart im Gemeindehaus neben der Kirche serviert. Seine Frau, die Tochter und die beiden Enkel José und Antonio sind bereits eifrig dabei Tortillas zu backen und Bohnen zu servieren. Die Mahlzeit ist einfach, aber köstlich zubereitet und mehr als sättigend. Don José leitet die Unterhaltung, begleitet vom Lächeln und Tuscheln der anderen. Es interessiert ihn wo genau wir herkommen, wie weit das ist und wie teuer. Er selbst hatte Guatemala offenbar in seinem gesamten Leben noch nicht verlassen. Die Welt, Europa, entfernte Orte kennt er aus dem Fernsehen und aus Erzählungen. Er erzählt: "Hier bei uns in Chwikaqá haben die Häuser nur ein oder höchstens zwei Stockwerke, in der Stadt haben sie drei oder vier. In den Vereinigten Staaten gibt es Häuser mit noch mehr Stockwerken, dort, wo die Leute Geld haben und wo Flugzeuge gebaut werden." Er lacht. "Hier ist es anders, ruhig. Hier gibt es nichts, nur unsere Arbeit... die Aussaat. Das ist unser Leben", fügt er hinzu und lächelt.
Müde vom guten Essen, der netten Gesellschaft, der dünnen Luft und dem anstrengenden Tag machen wir uns auf den Weg zum verdienten Nachlager. Während meine drei ReisegefährtInnen im Gemeindezentrum übernachten, habe ich dankbar das Angebot von Juan, dem Gemeindekoordinator, angenommen, die Tage bei seiner Familie zu wohnen. Vier Tage in einer Maya-Familie, das bedeutet Kultur und Begegnung hautnah zu erleben, neues zu lernen, dabeizusein. Neugierig wie ich bin, konnte ich diese Einladung unmöglich ausschlagen. Voller Vorfreude und Spannung folge ich Juan in die Dunkelheit. Wir gehen etwa 15 Minuten durch das unebene und abschüssige Gelände. Das Haus der Familie liegt außerhalb des unmittelbaren Ortszentrums, jedoch noch relativ nahe verglichen zu dem Weg den andere Dorfbewohner täglich zurücklegen, wie ich diese Tage noch feststellen sollte. Lediglich der erste Frühlingsvollmond spendet genügend Licht, um nicht über jeden Stein und jedes Schlagloch zu stolpern. Juan zeigt mir die Nachbarschaft und erklärt mir wer wo wohnt. Er zeigt ins Tal, wo sich auf der Hochebene eine Vielzahl von Lichtern ausmachen lässt. Die Provinzhauptstadt Santa Cruz del Quiché, die nächste Verbindung zur Außenwelt für die Bewohner von Chwikaqá, ein Krankenhaus, ein Markt, eine Universität, in gut einer Autostunde Entfernung. Juan erzählt mir von seinen Reisen an die Küste, die er früher häufig unternommen hatte, um Waren zu verkaufen, dass er dort Spanisch gelernt habe. Ich erzähle ihm von Deutschland, vom Winter und, dass auch ich Spanisch erst lernen musste. Nach einer letzten Wegbiegung bleibt Juan vor einer Haustüre stehen, sperrt auf und bittet mich einzutreten. Ich trete in einen großzügigen Innenhof, der von einigen Glühbirnen spärlich erleuchtet wird. Der Hof wird zu allen vier Seiten von einfachen Arkaden umgeben, die zu den angrenzenden Zimmern führen. Auf der dem Eingang gegenüberliegenden Seite steht ein großer steinerner Waschtisch. Juan führt mich sogleich zu meinem "Gästezimmer", wo ich mein Gepäck ablegen kann. Die aufgesstapelten Wolldecken auf dem Bett, lassen mich bereits die Kälte der Nacht erahnen. Elegante Fließen, wie ich sie hier kaum vermutet hätte, bedecken den Fußboden des Zimmers und zahlreiche Ehrenurkunden und Zertifikate über Juans Engagement zieren die Wände. Ich werde den Verdacht nicht los, dass die Eltern mir als Gast ihr Schlafzimmer überlassen hatten, sollte dies jedoch bis zum Schluss nicht herausfinden, was aber nicht weiter schlimm ist und mich nur noch dankbarer für die freundliche Aufnahme macht. Auf den ersten Blick scheint das Haus der Familie Soc Lux bescheiden, aber stilvoll eingerichtet zu sein. Juan bedeutet mir ihm in die Küche zu folgen. Juans Frau Sandra hat in der Küche bereits das Abendessen bereitet. Abendessen? Genau, nochmal Abendessen. Sie begrüßt mich freundlich und nach und nach huschen auch die sechs Kinder der Familie in die Küche. Juan ist schätzungsweise Ende 30, seine Frau 32. Andrés ist mit 18 Jahren der Älteste der sechs. Ihm folgen wie die Orgelpfeifen Gaspar, Isabel, das einzige Mädchen, Antonio, David und Jonás. Die kleine Cousine Candelaria zähle ich nun einfach auch zur Familie, da sie während der ganzen Zeit da war, also sieben. Die kleineren begutachten mich zunächst skeptisch und scheu aus der Entfernung, tuscheln und kichern. Andrés habe ich bereits im Gemeindezentrum kennengelernt und er begrüßt mich herzlich. Ich blicke mich um. Ich befinde mich in einem recht düsteren Raum. Die Familie sitzt auf Stühlen und Hockern um einen flachen, gemauerten Holzofen herum, der das Zentrum des Raumes bildet und in dem ein angenehm warmes Feuer lodert. Auf der tonernen Herdplatte stehen mehrere Töpfe deren Inhalt gemächlich vor sich hin köchelt. Doña Sandra serviert uns allen Tortillas, Chicharrón und zum Aufwärmen einen warmen Kaffee. Sie scheint interessiert und versucht sich mit einigen Fragen. Sie spricht nur wenig Spanisch. Langsam verlieren auch die Kinder ihre Schüchternheit. Wir unterhalten uns angenhem und ich bitte sie mir ein wenig Quiché beizubringen. Aus Erfahrung weiß ich, dass es einem unendlich viele Türen und Herzen öffnen kann, wenn man Menschen in ihrer Muttersprache anspricht, wenn es auch nur der kläglichste Versuch und der kleinste Brocken ist. Der Versuch zählt. Zum Vergnügen aller bringe ich mit Müh und Not ein "Xoq agab...nbi 'riin Benjamin... riin ki petiq Alemania", (Guten Abend, ich heiße Benjamin. Ich komme aus Deutschland.) über die Lippen. Wir lachen, reden, essen, trinken. Ich fühle mich willkommen und freue mich auf die kommenden Tage.

Familie Soc Lux beim Abendessen
Auch Katze "Pelusa" weiß wo es sich aushalten lässt

Es ist spät geworden. Ich trete aus der Küche in den Innenhof und schon hat mich die Kälte wieder. Ich verabschiede mich mit einem umständlichen "chuyaq' chiq" (bis morgen), sogleich von schallendem Gelächter beantwortet, auf das Zimmer, mache es mir auf der geräumigen Holzpritsche bequem und verschwinde dankbar unter den vier Wolldecken.
Es erscheint mir unglaublich, dass wir an diesem Morgen erst vom CEFAS in der Hauptstadt aufgebrochen waren. Ich schlafe bald ein in dieser so entfernten, anderen Welt. Morgen ist Gründonnerstag.

Donnerstag, 4. April 2013

Guatemala, ewiges Land der Maya (Teil 1)

Die dritte kalte Dusche des Tages, abends kurz vor 11. Ohne sie ist heute kein Schlaf zu finden. Als ich abgekühlt in die immer noch schwüle Abendluft trete weiß ich, ich bin zurück in meiner kleinen neuen Welt in der Calle del Mediterráneo. Hinter mir liegen Tage, die wie aus einer anderen Zeit, von einem weit entfernten Ort zu stammen scheinen. Ich durfte die Ostertage in einer kleinen Maya-Gemeinde namens Chwikaqá verbringen, in einer Familie leben, herzliche Menschen und eine so bezaubernde Kultur kennenlernen. Um dem Erlebten gerecht zu werden und davon ausführlich zu berichten, will ich mir einige Zeit nehmen. Mit einem einzigen Blogeintrag ist es nicht getan. In den kommenden Tagen werde ich versuchen, so gut ich kann und soweit es mir das Studium, das immer anspruchsvoller wird, erlaubt, alles niederzuschreiben.
Heute das erste Kapitel...

Stille, Frieden, Harmonie. Diese Luft atme ich hier und heute. Keine aufjaulenden Busse, kein Stimmengewirr, keine drückende Hitze. Nur frische, kühle Bergluft, die noch, wenn man ganz leise ist, einen letzten Hauch von Morgentau erahnen lässt.
Gestern Abend spät kamen wir hier im CEFAS an, einem Bildungs- und Exerzitienzentrum der Jesuiten in den grünen Hügeln außerhalb von Guatemala Stadt. Unsere erste Zwischenstation auf dem Weg zu den Mayas. Empfangen wurden wir von einer Familie von gut 50 Männern und Frauen allen Alters, aus 19 verschiedenen Nationen. Die meisten sind Ordensleute verschiendenster Kongregationen, einige sind Laien. Sie alle sind aus den unterschiedlichsten Lebenssituationen hierher gekommen, um sich eine Auszeit zu nehmen, und an einem viermonatigen Kurs zur Persönlichkeitsentwicklung und psycho-spirituellen Bildung teilzunehmen. Sie engagieren sich in den umliegenden Gemeinden und begleiten Menschen. Ein schöner Ort.
Als ich gerade so über diese Schönheit und Harmonie des Ortes nachsinniere werde ich abrupt aus meiner Illusion gerissen. Man berichtet uns, dass zwei Tage zuvor eine Mitarbeiterin des örtlichen Rathauses an ihrem Arbeitsplatz kaltbütig niedergeschossen worden war. Sie war Sprecherin der regionalen Arbeitergewerkschaft und hatte sich für die Menschenrechte stark gemacht. Man vermutet, dass dies mit der Tat zusammenhängt. Ein Fall von vielen. Die Schwester des Opfers arbeitet in der Verwaltung des CEFAS. Die Frau hinterlässt einen zehnjährigen und einen sechszehnjährigen Sohn, die beide diese Tage im CEFAS bei ihrer Tante verbringen, um das Geschehene fürs erste zu verarbeiten. Auch heute noch bricht in diesem scheinbaren Paradies Mittelamerika, das man aus den Urlaubskatalogen kennt, immerwieder die grausame Realität den Frieden und bohrt sich wie ein rostiger Nagel wieder und wieder in mein Bewusstsein und noch tausendfach schmerzhafter ins Fleisch dieses gekreuzigten Volkes. Ein Volk, das gelernt hat sich kaum noch zu erschüttern angesichts der Normalität und Alltäglichkeit von Gewalt und Grauen.
Doch genug davon. Ich will auch von den schönen Seiten dieses Landes und seinen Menschen berichten.
Am Montagnachmittag unternahmen wir einen Ausflug in die benachbarte und wunderschöne alte Kolonialstadt Antigua. Sie trägt diesen Namen, weil sie die frühere Hauptstadt Guatemalas war. Von zahlreichen Erbeben und Vulkanausbrüchen über Jahrhunderte immer wieder in Schutt und Asche gelegt, beschloss man irgendwann eine neue Hauptstadt am jetzigen Standort zu erbauen. Heute ist Antigua am Fuße von immer noch aktiven und beeindruckenden Vulkanen zu einem regelrechten Touristenmagneten geworden. Alte Kolonialarchitektur in warmen, andalusischen Farben und Menschen in traditionellen Mayatrachten verschmelzen mit den mächtigen Ruinen der Kathedrale zu einem Ort mit von besonderem Zauber. Nur wenige Stunden konnten wir hier verbringen, bald brach schon der Abend herein, aber ich bin zuversichtlich wieder einmal hierher zurückzukehren.






Am Mittwochmorgen brechen wir, meine Mitstudentin und Ordensschwester Estela, Mariza, eine kroatische Ordensschwester und Agustín, Jesuitenpater aus Argentinien, mit einem treuen und tapferen VW Polo ins guatemaltekische Bergland auf. Der erste Ziel der Reise ist das Dorf Santa María Chiquimula auf gut 2100m Höhe. Die Jesuiten betreiben dort die örtliche Pfarrgemeinde. Die Reise führt uns zunächst über die Carretera Panamericana, der "Autobahn", die von México bis Feuerland führt, Richtung Norden. Vorbei fliegen grüne Hügel und trockene Maisfelder. Je höher wir kommen desto karger wird die Vegetation. Wo zuvor Pinien wuchsen, stehen bald nur noch vereinzelte Kiefern. Bei der Rast auf einer Passhöhe fällt das Atmen schwer, kein Wunder bei deutlich über 3000m über dem Meer. Erinnerungen an meine gliebten Anden werden wach. Nach der Abzweigung Richtung San Francisco del Alto werden Fahrbahn und Ausschilderung abrupt bescheidener. In der nächsten Orstschaft beugt sich Fahrer Agustín aus dem Fester und ruft einer traditionell gekleideten Frau zu "Guten Morgen, hallooo, können sie mir den Weg nach Santa María sagen?". Die Frau blickt ihn mit weit geöffneten Augen schweigend an. Estela, ebenfalls Argeninierin, weist Agustín sogleich deftig zurecht: "Du bist hier doch nicht in Buenos Aires, wo man einfachso jeden auf der Straße anhauen kann! Die arme Frau kann wahrscheinlich nicht einmal Spanisch!" Zunächst betretenes Schweigen, darauf ein herzhaftes Lachen von uns allen. Im Bergland Guatemalas ist die spanische Sprache nicht sehr verbreitet, und besonders Frauen, die häufig noch immer keinen Zugang zu Schulbildung haben sprechen lediglich eine der unzähligen Maya-Sprachen und sind kulturell bedingt sehr zurückhaltend Fremden gegenüber.
Schließlich finden wir den Weg in das beschauliche Bergstädtchen Santa María Chiquimula, mit seinen rund 4000 Einwohnern doch noch. In dem ehemaligen Franziskanerkloster aus der Kolonialzeit werden wir bereits mit einem herzhaften Mittagessen erwartet. Die Zeit drängt. Noch vor Einbuch der Dunkelheit wollen wir die Maya Comunidad Chwikaqá, wo wir die kommenden Tage verbringen würden, erreichen. Für einen kleinen Stadtrundgang durch die schmalen Gassen und über den Wochenmarkt, der sich über das gesamte Zentrum erstreckt, bleibt jedoch Zeit. Erst jetzt wird mir der Kontrast zu El Salvador und den Städten der Küste wirklich bewusst. Eine Vielzahl von Gerüchen, wunderbar gemusterten Stoffen, großen Augen und relativ kleinwüchsigen Menschen strömen mir entgegen. Wie auf Märkten dieser Art üblich, wird hier alles verkauft und gerade in den letzten Tagen der Semana Santa vor dem Osterfest sind die Straßen gefüllt mit geschäftigen Leuten. Eine Andersheit die ich immerwieder gerne genieße und von der ich mich aufsaugen lasse.


Knapp eineinhalb Stunden Weg liegen noch vor uns nach Chwikaqá, auf ca. 2500m Höhe. Asphaltstraßen sucht man hier vergeblich. Und auch die ausgefahrene Staubpiste ist auf keiner Landkarte zu finden. Aus diesem Grund hatte man uns in Santa María einen genauen Plan gezeichnet, begleitet von ausführlichen Erklärungen. Von nun an hieß es nicht mehr Schildern folgen, sondern, Kurven, Brücken und Abgründe zählen. Über Berg und Tal heizte Agustín den kleinen Polo, der im ersten Gang aufheulte und sich tapfer den letzten Anstieg hinaufkämpfte. Am späten Nachmittag machen wir die ersten Häuser und die Funkmasten auf der Anhöhe aus und befinden uns, ehe wir uns versehen, mitten auf dem Dorfplatz von Chwikaqá.
Hier und dort sitzen einige Männer und Frauen vor den Hauseingängen in den letzten Sonnenstrahlen dieses Mittwochs. Eine ältere Frau versucht beharrlich ihre kleine Schafherde, die auf die Plaza ausgebüchst zu sein scheint, zusammenzutreiben.

Chwikaqá wird sind gespannt auf dich...