Liebe Freundinnen und Freunde,
an diesen Tagen, an denen wir die
Märtyrer feiern und täglich neue Opfer beklagen müssen, schreibe
ich diese Zeilen aus San Salvador und aus der Universidad
Centroamericana José Simeón Cañas (UCA), einer Universität, die
sich seit ihrer Gründung dem sozialen Wandel und der Gerechtigkeit
verschrieben hat.
Die
Propheten, die wir heute brauchen
In diesem März, historischer Monat
vieler Massaker und Märtyrer in El Salvador, stand zweifellos das
Andenken von Rutilio Grande im Mittelpunkt. Am 12. März jährte sich
der Mord an dem Jesuitenpater und seiner beiden Begleiter auf der
Landstrasse zwischen Aguilares und El Paisnal zum vierzigsten Mal. An
der UCA feierten wir sein Zeugnis und Weiterleben im Rahmen eines
offiziellen Aktes mit liturgischen, biographischen und künstlerischen
Elementen im Auditorio Ignacio Ellacuría.
Heute, am 24.03. begehen wir zudem
den 37. Jahrestag der Ermordung des, hier längst heiligen, seligen
Oscar Romero. Die zentrale Feier, organisiert von der Fundación
Mons. Romero, wird morgen
am Samstag den 25.03. stattfinden. Vom Parque Cuscatlán wird die
traditionelle Lichterprozession in diesem Jahr zur Plaza del
Divino Salvador del Mundo führen, wo am Abend eine Messe
gefeiert wird, gefolgt von einer Vigilia popular
mit Kunst und Musik. An der UCA war es in diesen Tagen, meines
Empfindens nach, erstaunlich ruhig um Romero. Neben dem alljährlichen
Gottesdienst gibt es kaum Aktivitäten zum Aniversario.
Möglicherweise ist dies jedoch nur die Ruhe vor dem Sturm und die
Universität bereitet sich in aller Stille auf den 100. Geburtstag
Romeros am 15. August diesen Jahres vor.
Ansonsten blicken derzeit viele Augen
hoffnungs- und erwartungsvoll in den Vatikan, wo sich in diesen Tagen
die salvadorianischen Bischöfe mit Papst Franziskus treffen. Man
hatte gehofft, dass anlässlich des heutigen Jubiläums der Termin
der Heilig- bzw. Seligsprechung von Mons. Romero und Rutilio Grande
bekannt gegeben wird. Beide Prozesse stehen quasi vor dem Durchbruch
und im Fall Romero wurde das noch erforderliche Wunder offiziell
angenommen. Der Papst hat jedoch um Geduld gebeten und darauf
hingewiesen, dass alles seinen geordneten und bürokratischen Lauf
nehmen muss. Wir sind weiterhin gespannt und feiern die Heiligen
vorsichtshalber trotzdem schon mal.
Neues
Mural von Fernando Llort vor dem Hospitalito,
eingeweiht anlässlich des
37.
Jahrestages der Ermordung von Oscar Arnulfo Romero
|
25
Jahre danach, kein Frieden in Sicht
Politisch
hat sich die Situation in El Salvador in den letzten beiden Jahren
kontinuierlich zugespitzt. Die
Regierung der FMLN steckt in einer tiefen Haushaltskrise und schafft
es seit Monaten nicht sich mit dem Unternehmersektor (ARENA-ANEP)
zu einigen. Die politische
Polarisierung zwischen rechts und links schwelt wie eh und je und der
Wahlkampf hat schon wieder begonnen (2018 sind Parlaments- und
Kommunalwahlen und 2019 Präsidentschaftswahlen).
Seit
dem endgültigen Scheitern der Tregua (Waffenstillstand
zwischen den Maras unter
Beteiligung der Regierung) Anfang 2015 ist es wieder düsterer
geworden in den Barrios
und Cantones des
Landes. 2015 und 2016 waren die gewaltreichsten Jahre des noch
jungen Jahrhunders und seit
einem Jahr wird El Salvador mit einer Notstandsgesetzgebung für
den Sicherheitsresort
regiert. Vor gut 2 Jahren hat
die Regierung von Salvador Sánchez Cerén den Maras
den Krieg erklärt und seitdem durchkämen Polizei-Sturmkommandos und
Eliteeinheiten der Armee die Viertel der Armen und Vergessenen.
Opfer
sind letztlich alle, die es sich nicht leisten können in dem anderen
El
Salvador zu leben, in dem El Salvador der Einkaufsmalls und
Allrad-Fahrzeuge, wohlbehütet durch
private Sicherheitsleute und hohe
Mauern. Opfer sind vor allem männliche Jugendliche zwischen 14 und
25 Jahren.
Sie sind Opfer der Maras,
denn sie werden zwangsrekrutiert oder ermordet. Sie sind Opfer einer
Gesellschaft, die ihnen keine
Zukunft bietet, sie ausgrenzt
und oft keinen
anderen Ausweg als die Mara
lässt. Sie sind Opfer der Polizei und der Militärs, die
sie für grundsätzlich verdächtig halten und vorsichtshalber zuerst
niederprügeln, einsperren, foltern, verschwinden lassen oder
erschiessen und dann nachfragen. Opfer sind aber auch Mädchen und
Frauen in El Salvador, Opfer eines extrem patriarchalen Systems, das
keinen Respekt vor Frauen kennt. Opfer sind die Familienangehörigen
der Ermordeten von gestern und heute, die noch immer kein Gehör,
geschweige denn Gerechtigkeit finden. Ebenso sind Opfer viele
Angehörige der Polizei und der Armee die einem extrem hohen
psychischen Druck bei Hungerlöhnen ausgesetzt sind und häufig zum
Töten und Foltern gezwungen werden. Opfer sind die unzähligen
Familien, die aufgrund von Todesdrohungen ihre Viertel verlassen
müssen, alles zurücklassen und ziellos durch das Land oder über
die Grenzen irren. Opfer sind aber ebenso viele Bandenmitglieder und
deren Familienmitglieder, die von den Umständen
in diese schreckliche Lebensrealität
getrieben wurden, die nicht wieder herauskommen, wenngleich sie
nichts sehnlicher wollen und, die von den Sicherheitskräften oftmals
grundlos und ohne Beweise verfolgt und ermordet werden.
Ja,
leider sind viele Dinge die man aus Erzählungen aus den
schrecklichen Jahren des Bürgerkriegs kennt wiedergekehrt. Es gibt
zahlreiche dokumentierte Fälle von Folter, Verschwindenlassen und
aussergerichtlichen Hinrichtungen. Die Menschenrechtssituation ist
höchst prekär. Zugleich lässt die Regierung beste Schlagzeilen
drucken und will den Eindruck vermitteln, ihre Sicherheitsstrategie
des “Kampfes gegen das Verbrechen” sei erfolgreich. Die Regierung
des Wandels und die zweite Regierung der linken FMLN, auf die das
Volk einst so viel Hoffnung gesetzt hatte, hat in Sachen Sicherheit,
Gerechtigkeit und Menschenrechte nur wenig Wandel gebracht. Im
Gegenteil, es ist erschreckend und traurig zu sehen wie die
ehemaligen Guerrilla-Führer sich heute genau die Rethorik und die
Methoden derer zueigen gemacht haben, die sie vor gut einem viertel
Jahrhundert noch bekämpft haben. Besonders
schizophren war dies um die Feiern des 25. Jahrestags des
Friedensabkommens, das hier sehr gross am 16. Januar diesen Jahres
gefeiert wurde. Während der Präsident von Frieden, Wohlstand und
“buen vivir” spricht, erzählen mir unterschiedlichste Menschen,
dass das
was sie heute erleben schlimmer sei
als der Krieg. Von
Frieden kann also keine Rede sein.
Nun drängt sich unweigerlich die
Frage auf: Würde das Land unter einer anderen Regierung, gar einer
rechten ARENA oder GANA Regierung besser dastehen? Ganz sicher nicht.
Leider gibt es derzeit wenige politische Alternativen und somit
bleibt nichts als von allen Ecken und Enden her auf einen echten
Wandel hin zu arbeiten, für transparente Gerichtsverfahren, für die
Menschenrechte, für faire Löhne, für den Schutz der Umwelt, für
Wahrheit und Gerechtigkeit. Die gute Nachricht ist, es gibt viele
Menschen in El Salvador die das tun und das macht Hoffnung.
Der Chef der nationalen, zivilen Polizeibehörde beschuldigt vor dem Eingang der Kathedrale Organisationen der Zivilbevölkerung eine Schmutzkampagne gegen die Institution initiiert zu haben wegen, ihmzufolge, “angeblichen Menschenrechtsverletzungen”. (Diario CoLatino, Montag, 20.03.2017 |
Ein
kleines Senfkorn unter vielen
An der UCA versuchen wir seit Oktober
unseren, zweifellos sehr kleinen und bescheidenen Beitrag zu leisten.
Zum einen haben wir vom Masterstudiengang aus ein Forschungsprojekt
begonnen, das uns ein wenig aus unserer Museumsmentaliät an der UCA
wachrütteln und das Erbe unserer Märtyrer in den Dienst der
heutigen Zeit stellen will. Wir versuchen die aktuelle Realität von
unten, von den Opfern her zu verstehen. Dazu führen wir Interviews
mit Hinterbliebenen von Mordopfern und Verschwundenen, mit intern
Vertriebenen und Menschen die von den staatlichen Sicherheitskräften
und den Maras verfolgt und misshandelt wurden. Wir besuchen
Viertel und Einrichtungen, wo es Menschen schaffen mit viel harter
Arbeit dem massenweisen Sterben Leben entgegenzusetzen und wir
versuchen ihre Erfahrungen zu systematisieren.
Unser Anliegen ist es in dieser
gähnenden Leere von Tod und Zerstörung Zeichen der Hoffnung und des
Lebens auszumachen und in diese Realität hinein ein Wort der
Befreiung zu rufen. Das ist eine grosse Herausforderung, denn die
Gegner sind allgegenwärtig. Wir stehen noch ganz am Anfang und die
Fussstapfen sind übergross, doch sie dienen uns als Beispiel und
Antrieb.
Ein wichtiges Element des Projekts ist
es die salvadorianische Gesellschaft für ihre Opfer zu
sensibilisieren und den öffentlichen Diskurs zum “Sicherheitsthema”
zu beeinflussen. Dies versuchen wir zum einen über die Medien. Hier
findet ihr zwei Links mit den ersten beiden Kolumnen in der
Online-Zeitung El Faro:
Des weiteren arbeiten wir gerade daran
den Masterstudiengang “Teología Latinoamericana” mehr Menschen,
an mehr Orten zugänglich zu machen. Wir glauben, dass in der
heutigen Welt zwischen Klimakatastrophen, Kriegen und globalisierter
Ausbeutung der Ärmsten, die Stimmen eines Romero, eines Rutilio,
einer Rufina Amaya, eines Ellacuría oder einer Berta Cáceres gehört
werden müssen und wir sie, wie Jon Sobrino zu sagen pflegt, viel
neues produzieren lassen müssen.
Fotoausstellung im Centro Mons. Romero, UCA |
Anfang 2018 soll der Masterstudiengang
online gehen und sich somit auch unser kleiner Widerstand
globalisieren. Bis es soweit ist, seid ihr alle herzlichst eingeladen
auf unserer Website
(http://www.uca.edu.sv/maestria-en-teologia-latinoamericana/)
vorbeizuschauen, wo ihr schon heute reichlich Material und Links zu
unseren Aktivitäten und Kongressen findet. Zum Schluss möchte ich
euch noch kurz um eure Mithilfe bitten. Damit das salvadorianische
Bildungsministerium unseren Online-Masterstudiengang genehmigt,
müssen wir unter anderem vorweisen, dass es viele, viele und auch
internationale Interessierte gibt, die sich vorstellen könnten das
Programm zu studieren. Wir wären euch sehr dankbar, wenn ihr euch
kurz Zeit nehmen würdet ganz unverbindlich den folgenden Fragebogen
auszufüllen:
https://docs.google.com/forms/d/e/1FAIpQLSe7ZJ5FpchT7GFxNlO-pF1-Tv2hfp9Djkg1eEQmFQS3IDA-jg/viewform?c=0&w=1
Herzlichen Dank allen, die bis zum
Ende durchgehalten haben ;) Ich freue mich über eure Verbundenheit
mit El Salvador und der UCA und hoffe auch weiterhin mit euch in
Kontakt bleiben zu können.
Beste Grüsse und Gottes reichen Segen
in dieser bewegten Zeit,
Benjamin Schwab
¡VIVA SAN ROMERO DE AMÉRICA!
¡VIVA RUTILIO SANTO!
¡VIVA LA JUSTICIA Y LA PAZ PARA
TOD@S!