Ein Zimmer in einer der sichersten Zonen der Stadt, ein Stipendium aus
Deutschland, ein Masterstudium an einer der renommiertesten Privatuniversitäten
Mittelamerikas, „ist das El Salvador?“, frage ich mich. Es ist El Salvador,
daran besteht kein Zweifel. Aber ist es das El Salvador der großen Mehrheit? Das
El Salvador in dem knapp die Hälfte der Bevölkerung von weniger als 1$ pro Tag
lebt, in dem 40% der Kinder arbeiten müssen um ihre Familie zu unterstützen?
Ist es das El Salvador in dem ein Viertel der Landbevölkerung keinen Zugang zu
sauberem Trinkwasser hat und wo 15,5% der Kinder unterernährt sind? Gewiss
nicht! Auch wenn ich in meinem kleinen Leben hier nicht sonderlich großspurig
auf den Putz haue, auch wenn ich keine Waschmaschine besitze und meine Wäsche
jeden Samstagvormittag im Hof von Hand wasche, kann ich kaum verleugnen, dass
meine Lebensumstände doch sehr denen einer kleinen, reichen Oberschicht
gleichen. Auch am Ende des Monats reicht mir das Geld für zwei warme Mahlzeiten
am Tag und dank meiner Auslandskrankenversicherung muss ich nicht in
Existenzängste geraten wenn ich einmal krank werde. „Kein Selbstbehalt“, heißt
es in der Versicherungspolice. Die 45€ werden mir monatlich bequem vom Konto
abgebucht.
Wenn es in einer Gesellschaft viele Arme und einige Reiche gibt, läuft
notwendigerweise irgendetwas falsch. Solch eine Situation kann nur zustande
kommen wenn die Reichen, auf welche Art auch immer, auf Kosten der Mehrheit des
Volkes leben. So drückt es mein Geschichtsprofessor Rodolfo Cardenal aus,
übrigens ein Neffe des nicaraguanischen Dichters und Befreiungstheologen
Ernesto Cardenal. Hier läuft also etwas falsch. Diese These gilt gewiss nicht
nur für El Salvador oder die sogenannten Entwicklungsländer, sondern für die Welt
als Ganze, doch dies ist ein anderes Thema.
Doch wo ist dieses El Salvador der nach Gerechtigkeit dürstenden und nach
Brot hungernden Massen zu finden? Zu abgeschottet sind die „sicheren“
Wohnviertel derer die können, zu schrill die Werbetafeln der gigantischen
Konsumtempel „Multiplaza“ und „La Gran Vía“. Will man das sehen, was keiner sehen
will, muss man genau hinsehen, hingehen. Ich will sehen um zu verstehen.
Seit
einiger Zeit bin ich in Kontakt mit einem deutschen Dominikanerpater, der
bereits seit über 30 Jahren in El Salvador lebt und mit einer Radikalität und
Entschlossenheit an der Seite der Armen kämpft, wie ich es nur bei wenigen
Menschen erlebt habe. Das Engagement von Padre Gerardo begann bereits in den
ersten Jahren des Bürgerkriegs, als er in den Flüchtlingslagern in Honduras und
Guatemala arbeitete. Mittlerweile hat er ein breites Netz von Institutionen und
Projekten aufgebaut, darunter Schulen, Gesundheitsposten, Kindergärten und eine
Ökofarm. Alle Projekte folgen einer empowernden und ressourcenorientierten
Pädagogik, die der Lebenswelt der Menschen hier entspricht.
Es ist 9.00 morgens, die Sonne brennt bereits auf die Backsteinfassaden der
Häuser in der „Colonia 22 de Abril“ in Soyapango, einer dichtbevölkerten
Vorstadt von San Salvador. An diesem Vormittag will ich die „Escuela bajo
cielo“, die „Schule unter freiem Himmel“ besuchen, eines der Projekte des Padre.
Von der Bushaltestelle an der Avenida, gehe ich die schmale Hauptstraße hinauf,
die durch das gesamte Viertel führt. Obwohl mir Lidia, die Projektleiterin am
Telefon versichert hatte, dass es in der letzten Zeit recht ruhig zugeht und
ich daher den Weg von der Bushaltestelle problemlos alleine gehen kann, lege
ich einen Schritt zu und nehme den direkten Weg zum Büro der Projektleitung, wo
sich auch die kleine öffentliche Bibliothek der Colonia befindet. Es ist
augenscheinlich, dass das hier nicht mehr mein ruhiges Antiguo Cuscatlán und
auch nicht das kunterbunte Stadtzentrum ist. Hier weht ein anderer Wind, der
Wind der „Mara Salvatrucha“ oder auch MS-13, eine der gefährlichsten und gewalttätigsten
Banden der Welt.
Die Maras in Mittelamerika
An dieser Stelle ist ein kurzer Exkurs nötig. Die Bandenkriminalität ist
eines der gravierendsten Probleme der Gesellschaften Mittelamerikas. Mordanschläge,
Schutzgelderpressungen und Raubüberfälle lähmen immer wieder weite Teile des
öffentlichen Lebens und versetzen die Bevölkerung in Angst und Schrecken. Es
handelt sich jedoch um weit mehr als eine erhöhte Kriminalitätsrate. Die
Bandenproblematik Mittelamerikas ist ein gesellschaftliches Phänomen, das an
den Grundfesten der Demokratie und der aktuellen Gesellschaftsordnung rüttelt.
Eine eindeutige Erklärung für Ursache und Ursprung des Problems gibt es nicht, es
gibt jedoch Theorien.
Es war wohl in den 70er und 80er Jahren als sich
marginalisierte Jugendliche, hauptsächlich Einwanderer aus Mittelamerika und
Mexiko in den Armenvierteln von Los Angeles, USA, in Straßengangs
organisierten. Neben kleineren Delikten wurden sie nach und nach in den
Drogenhandel verwickelt. Es begangen sich verschiedene Gruppen herauszubilden,
die sich gegenseitig anfeindeten und ihre Territorien verteidigten. Raub, Mord
und Racheakte waren an der Tagesordnung. Zwei Gangs wurden auf diesem Wege am
einflussreichsten: das „Barrio 18“ (La 18) auf der einen Seite und die „Mara
Salvatrucha“ (MS-13) auf der anderen. Beide bestanden zu einem Großteil aus
salvadorianischen Einwanderern, die vor dem Bürgerkrieg geflohen waren und sich
in den Vereinigten Staaten ein besseres Leben erhofft hatten, vergeblich.
Seit
dem Ende des Bürgerkriegs 1992 wurden mehr und mehr Bandenmitglieder in ihre
Heimatländer abgeschoben. Traumatisiert von der Kriegserfahrung, ohne Familie,
Arbeit und Perspektiven war die Gang für viele die einzige Hoffnung. Hier
erfuhr man Anerkennung, Sicherheit und Zusammenhalt. Die alten Strukturen
begannen sich in El Salvador neu zu etablieren. Die Mitglieder waren längst
keine Jugendlichen mehr und widmeten sich zunehmend dem organisierten
Verbrechen, Drogen-, Waffen- und Menschenhandel. Die alten Feindseligkeiten
zwischen der „18“ und der „MS“ verschärften sich. Beide wollten die Oberhand
gewinnen. Die Folge waren und sind bis heute blutige Auseinandersetzungen
zwischen beiden Seiten, die sich inmitten einer sich demokratisierenden Gesellschaft
abspielen. Im Jahr 2006 lag die Mordrate in El Salvador pro 100.000 Einwohner
bei 56,2, die höchste der Welt. Zum Vergleich, weltweit waren es im gleichen
Zeitraum 8,8 und auf selbst dem amerikanischen Kontinent „nur“ 19,3 Morde pro
100.000 Einwohner. Ein schreckliche Realität, die sich nur schwer in
Statistiken begreifen lässt.
Auch in jüngster Zeit finden die Banden stetigen Zulauf besonders unter
Jugendlichen zwischen 14 und 18 Jahren. Weshalb? Nach wie vor sind die
Zukunftsperspektiven für Jugendliche hier in El Salvador oft sehr schlecht.
Mangelhafte Schulbildung, Armut, Gewalterfahrungen tun ihr übriges. Hinzu
kommt, dass viele Familien zerrüttet sind, Eltern oder Elternteile in die USA
ausgewandert sind, um ihren Kinder, die meist zurück bleiben, ein besseres
Leben zu ermöglichen. Die „Mara“, wie man die Gangs hier nennt, bietet den
Jugendlichen nach wie vor vermeintlich alles was sie brauchen: Geborgenheit,
Anerkennung, Geld und vor allem eine Identität. Wer einer „Mara“ beitritt wird
Teil einer Familie. Auch, wenn es innerhalb der Gangs eine strenge Rangordnung
gibt, kennen die Solidarität und der Zusammenhalt keine Grenzen. Die Mitglieder
identifizieren sich voll und ganz mit ihrer Mara. Am sichtbarsten ist dies an
den Tätowierungen, die die Mitglieder am ganzen Körper, oft auch im Gesicht
tragen. Eintätowierte Totenschädel, Kampfparolen oder eine große 13 oder 18
lassen einen jedes Mitglied sofort seiner jeweiligen Mara zuordnen.
Aus diesem
Grund verlassen viele Gangmitglieder auch kaum ihr eigenes Stadtviertel. Ein
Ausflug ins Zentrum könnte leicht tödlich enden, läuft ihnen ein Mitglied der
gegnerischen Mara über den Weg. Andernfalls würden sie sofort von den
Sicherheitskräften verhaftet werden, die seit Jahren verzweifelt mit allen
Mitteln gegen die Bandenproblematik anzukämpfen versuchen und ihrer nicht Herr
werden. In ihren Vierteln sind „Mareros“ quasi absolut sicher. Ihre Feinde
trauen sich dort nicht hin und auch die Polizei und das Militär betreten
bestimmte Stadtbezirke nicht. Somit werden gewisse Viertel komplett von den
Banden kontrolliert. Sie sorgen dort für Ruhe und Ordnung, und wer sein
Schutzgeld bezahlt und sich mit keinem Bandenmitglied anlegt hat kaum etwas zu
befürchten. Seit dem vergangenen Jahr hat die Regierung als Vermittlerin einen
Waffenstillstand zwischen dem „Barrio 18“ und der „Mara Salvatrucha“
ausgehandelt, um die Situation immerhin annähernd in den Griff zu bekommen. Die
Mordrate ist seitdem geringfügig gesunken und auch die Sicherheitskräfte werden
bis zu einem gewissen Maß wieder geduldet. Ganz lässt sich das Problem wohl in
nächster Zeit nicht aus der Welt schaffen. Es ist zu viel Geld und zu viel
Macht im Spiel. Die Maras kontrollieren nahezu den kompletten Drogenfluss, der
aus Südamerika kommt und in die USA und weiter nach Europa fließt.
Leben in der "22 de Abril"
Die „Colonia 22 de Abril“ in Soyapango ist fest in der Hand der „Mara Salvatrucha“. Früher gab es wohl auch eine Untergruppe der „18“ im Viertel, diese wurde jedoch restlos ausgelöscht. Ich erreiche das Büro von Padre Gerardo und werde dort von Lidia herzlich empfangen. Die beiden Lehrerinnen der „Escuela bajo cielo“ sind schon da und bereiten die Materialen vor. An diesem Tag ist ein kleines Fest anlässlich des Welttages der Umwelt geplant.
Die „Escuela bajo cielo“ ist ein offenes Freizeitangebot für Kinder aus dem
Viertel. Die Idee ist es den Kindern in ihrer Freizeit eine sinnvolle
Beschäftigung anzubieten und sie so vor schlechtem Umgang zu bewahren. Es gibt
Materialien zu vielen Themen. Die Kinder dürfen spielen, lesen, malen, basteln,
zu was sie eben gerade Lust haben, alles unter der Aufsicht von zwei
ausgebildeten Erzieherinnen. Die „Schule“ wandert alle drei Monate an einen
anderen Ort, öffentliche Plätze, Parks, in der Colonia, so haben alle Kinder
die Möglichkeit teilzunehmen. Außerdem gibt es entsprechend dem
Schulstundenplan eine Vormittags- und eine Nachmittagsgruppe.
Das Kinderfest soll heute auf dem kleinen Sportplatz am oberen Ende des
Viertels stattfinden. Mit den beiden Lehrerinnen mache ich mich auf den Weg.
Einige Jugendliche begegnen uns auf der Hauptstraße, einem steht die 13 in
großen Ziffern mitten ins Gesicht geschrieben. Einfach ruhig weitergehen und
ignorieren, das hat man mir hier immer wieder eingetrichtert. Alleine sollte
ich hier nicht unterwegs sein, denn jeder Unbekannte macht sich sofort
verdächtig, das bedeutet hier Lebensgefahr. Mit den beiden Lehrerinnen habe ich
allerdings nichts zu befürchten, denn die Projekte sind von der „Mara“
anerkannt und kommen schließlich auch deren Kindern zugute.
Wir bahnen uns den
Weg durch die engen Gässchen und Stück für Stück schließen sich uns immer mehr
Kinder an, die mich zunächst neugierig beäugen und dann mit Fragen
durchlöchern. Am Sportplatz ist bereits die kleine provisorische Bühne
aufgebaut und der Zaun mit Luftballons und von den Kindern gemalten Bildern
dekoriert. Heute sind etwa 25 Kinder gekommen, die teilweise bereits für ihre
Rollen in den kleinen Sketchen und Stücken verkleidet und geschminkt worden
waren. Die ganz Kleinen aus dem Kindergarten des Viertels sind auch zu Besuch
gekommen. Das Spektakel kann beginnen. Die Kinder haben die Geschichten selbst
erfunden und das Bühnenbild in den Tagen zuvor mit Hilfe der Erzieherinnen gestaltet.
Mit viel Freude und Enthusiasmus sind sie bei der Sache und erzählen beispielsweise
die Geschichte vom Leben einer Blechdose, sie singen und tanzen gemeinsam. Am
Ende gibt’s für alle Süßigkeiten und Eis. Ismael ist bis über beide Ohren mit
Schokoladeneis verschmiert, strahlt mich an und meint, „lass uns Fußball
spielen“. Die ganze Meute, Jungs und Mädchen stürzt sich auf den Ball.
Dazwischen wird Seil gehüpft und Mangos vom benachbarten Baum stibitzt. Eine
glückliche Kindheit, könnte man meinen.
Wendy, eine der Lehrerinnen, erklärt
mir jedoch, dass die meisten der Kinder aus Familien von Bandenmitgliedern
kommen und Gewalt von klein auf zu ihrem Alltag gehört. „Die größeren unter
ihnen, die zwölf- und dreizehnjährigen haben selbst schon die ersten
Verbindungen zur Mara“, meint sie bedrückt. Wer aus einer Zone wie der „22 de
Abril“ kommt hat in El Salvador wenig Chancen. Das Bildungsniveau ist niedrig,
die Armut groß und die meisten potentiellen Arbeitgeber laden einen nicht
einmal zum Vorstellungsgespräch ein, wenn sie lesen, dass ein Bewerber aus
einer bestimmten Gegend kommt. Was bleibt ist die Mara.
Das Fest ist zu Ende. Die Kinder spielen noch und am Rand des Spielfelds
versammeln sich einige Jugendliche. Ich spreche kurz mit ihnen, stelle mich
vor, gebe ihnen drei meiner übrigen Bonbons ab. Einer von ihnen, kaum älter als
16 und von hagerer Gestalt, ist der zuständige „Marero“, der auf dieses Gebiet
„aufpasst“, wie mir Wendy später erklärt. Es kommen mehr und mehr Jugendliche.
Wendy und ihre Kollegin packen die Materialen zusammen und bedeuten mir
mitzukommen. Wir verabschieden uns von den Kindern und machen uns auf den
Rückweg zum Büro. Wendy klärt mich auf: „Immer wenn sie sich so versammeln,
heißt das, dass sie etwas vorhaben. Manchmal nehmen sie auf dem Sportplatz neue
Mitglieder auf, dann hören wir nur die Schläge und Schreie oder an den
Nachmittag gibt es hin und wieder Schusswechsel mit der ‚18‘ die das Viertel
auf der anderen Seite des Flusses kontrolliert. Wenn so etwas passiert
signalisieren sie uns immer, dass wir nun besser gehen sollten, da sie nicht
wollen, dass uns etwas zustößt.“
Die Aufnahmerituale der „Mara Salvatrucha“
sind berüchtigt. Das neue Mitglied, das in der Regel zuvor eine Feuerprobe,
zumeist ein Mord oder Raubüberfall, bestehen musste, wird in die Mitte eines
Kreises gestellt. Der Bandenchef zählt langsam bis 13 und die übrigen „Mareros“
schlagen und treten in der Zwischenzeit wie wild auf den Neuling ein bis dieser
winselnd am Boden liegt. Von diesem Zeitpunkt an ist er ein vollwertiges
Mitglied der Mara. Er hört auf als Individuum zu reden, zu handeln und zu
leben. Sein Leben ist von nun an die Mara. Er setzt sein Leben ein für die Mara
und nicht wenige verlieren es dabei. Im Gegenzug verteidigt die Mara bis aufs
Blut das Leben jedes ihrer Mitglieder. Ist man einmal in die Mara aufgenommen,
ist der einzige Weg hinaus der Tod. Kaum ein Mitglied schafft es sich wieder
von der Bande loszusagen. Nicht wenige, die es versucht haben, wurden von ihren
eigenen Gangkollegen als Verräter hingerichtet. Für die Zivilbevölkerung ist das alles jedoch etwas weniger dramatisch.
Hier gilt, wer sich an die Spielregeln hält, die die Mara vorgibt, lebt
ziemlich sicher und wird sogar noch beschützt.
Die Maras in Mittelamerika haben sich zu einem unbezwingbaren Monster
entwickelt, zum Krebsgeschwür einer kranken Gesellschaft. Die Gangmitglieder
sind zum Einen Opfer eines gescheiterten Systems und einer nicht verarbeiteten
Vergangenheit auf der Suche nach einem Leben, das die Gesellschaft ihnen stets
verwehrt hat. Zum Anderen sind sie Täter, eine Kraft die die Gesellschaft nicht
zur Ruhe kommen lässt und jeden Fortschritt im Keim erstickt. Lösungen und
mögliche Auswege werden seit Jahren im gesamten politischen und
gesellschaftlichen Spektrum diskutiert, von Massenverhaftungen über den
Waffenstillstand bis hin zu Rehabilitationsprogrammen. Die Gesellschaft in El
Salvador muss ihren Weg in den Frieden letztlich selbst gehen und auf diesem
Weg noch viele Wunden heilen. Die Mareros selbst erkennen immer öfter, dass
dies nicht das Leben ist, das sie sich für ihre Kinder wünschen. Was bleibt ist
den Frieden vorzuleben in der Schule, der Familie und im öffentlichen Leben und
zu hoffen, dass die Spirale der Gewalt sich irgendwann nicht mehr weiter dreht.
Wir verstauen die Materialien wieder im Büro und ich verabschiede mich für
diesen Tag. Die Lehrerinnen bleiben noch, um die nächsten Einheiten
vorzubereiten und ich versichere den Weg zur Bushaltestelle alleine gehen zu
können. Ich trete ins Freie, als zwei halbstarke Jungs die Hauptstraβe hinaufkommen,
mit nackten Oberkörpern und im provokanten, ausladenden Gang der Mareros. Ich
halte die Luft an, nicht hinsehen. Sie gehen vorbei, ohne mich zu beachten,
gesehen haben sie mich. Als ich mich ablenken will, fällt mein Blick auf die
Hauswände. Sie sind voller Graffitis. In riesigen, verzierten Lettern steht
dort „Mara Salvatrucha“, weiter vorn „MS-13“. Auf diese Weise markieren die
Gangs ihr Revier. Ein unwohles Gefühl ergreift mich plötzlich. Ich will einfach
nur noch hier raus.
Nur 45 min. später steige ich in Antiguo Cuscatlán, oben am Fuβgängerzugang der
UCA aus dem Bus und trete wieder wie in eine andere Welt. Die Fastfoodrestaurants sind
voller Studenten, es ist Mittagszeit, stattliche Limousinen mit getönten
Scheiben schieben sich durch die Straβen. Selbst die Luft scheint eine andere zu sein, oder
ist es nur weil ich wieder atmen kann?
Mir ist nun klar, wie nie zuvor, dass laengst nicht alle Menschen in dieser Stadt diese Luft atmen koennen. Mir ist auch klar, dass El Salvador fuer die grosse Mehrheit keineswegs lateinamerikanisches Lebensfreude bedeutet, sondern blanke Angst ums taegliche Ueberleben. Was ich in der "22 de Abril" erleben durfte war eine einschneidende Erfahrung. Eine Erfahrung, die mich den Menschen in El Salvador ein gutes Stueck naeher gebracht hat, die mich vieles besser verstehen liess. Verstehen ist die notwendige Voraussetzung fuer jedes verantwortungsvolle Handeln.
Mir ist nun klar, wie nie zuvor, dass laengst nicht alle Menschen in dieser Stadt diese Luft atmen koennen. Mir ist auch klar, dass El Salvador fuer die grosse Mehrheit keineswegs lateinamerikanisches Lebensfreude bedeutet, sondern blanke Angst ums taegliche Ueberleben. Was ich in der "22 de Abril" erleben durfte war eine einschneidende Erfahrung. Eine Erfahrung, die mich den Menschen in El Salvador ein gutes Stueck naeher gebracht hat, die mich vieles besser verstehen liess. Verstehen ist die notwendige Voraussetzung fuer jedes verantwortungsvolle Handeln.