Freitag, 24. März 2017

Monat der Märtyrer - Ein Gruss aus San Salvador


Liebe Freundinnen und Freunde,
an diesen Tagen, an denen wir die Märtyrer feiern und täglich neue Opfer beklagen müssen, schreibe ich diese Zeilen aus San Salvador und aus der Universidad Centroamericana José Simeón Cañas (UCA), einer Universität, die sich seit ihrer Gründung dem sozialen Wandel und der Gerechtigkeit verschrieben hat.


Die Propheten, die wir heute brauchen


In diesem März, historischer Monat vieler Massaker und Märtyrer in El Salvador, stand zweifellos das Andenken von Rutilio Grande im Mittelpunkt. Am 12. März jährte sich der Mord an dem Jesuitenpater und seiner beiden Begleiter auf der Landstrasse zwischen Aguilares und El Paisnal zum vierzigsten Mal. An der UCA feierten wir sein Zeugnis und Weiterleben im Rahmen eines offiziellen Aktes mit liturgischen, biographischen und künstlerischen Elementen im Auditorio Ignacio Ellacuría.
Heute, am 24.03. begehen wir zudem den 37. Jahrestag der Ermordung des, hier längst heiligen, seligen Oscar Romero. Die zentrale Feier, organisiert von der Fundación Mons. Romero, wird morgen am Samstag den 25.03. stattfinden. Vom Parque Cuscatlán wird die traditionelle Lichterprozession in diesem Jahr zur Plaza del Divino Salvador del Mundo führen, wo am Abend eine Messe gefeiert wird, gefolgt von einer Vigilia popular mit Kunst und Musik. An der UCA war es in diesen Tagen, meines Empfindens nach, erstaunlich ruhig um Romero. Neben dem alljährlichen Gottesdienst gibt es kaum Aktivitäten zum Aniversario. Möglicherweise ist dies jedoch nur die Ruhe vor dem Sturm und die Universität bereitet sich in aller Stille auf den 100. Geburtstag Romeros am 15. August diesen Jahres vor.
Ansonsten blicken derzeit viele Augen hoffnungs- und erwartungsvoll in den Vatikan, wo sich in diesen Tagen die salvadorianischen Bischöfe mit Papst Franziskus treffen. Man hatte gehofft, dass anlässlich des heutigen Jubiläums der Termin der Heilig- bzw. Seligsprechung von Mons. Romero und Rutilio Grande bekannt gegeben wird. Beide Prozesse stehen quasi vor dem Durchbruch und im Fall Romero wurde das noch erforderliche Wunder offiziell angenommen. Der Papst hat jedoch um Geduld gebeten und darauf hingewiesen, dass alles seinen geordneten und bürokratischen Lauf nehmen muss. Wir sind weiterhin gespannt und feiern die Heiligen vorsichtshalber trotzdem schon mal.

Neues Mural von Fernando Llort vor dem Hospitalito, eingeweiht anlässlich des
37. Jahrestages der Ermordung von Oscar Arnulfo Romero




25 Jahre danach, kein Frieden in Sicht


Politisch hat sich die Situation in El Salvador in den letzten beiden Jahren kontinuierlich zugespitzt. Die Regierung der FMLN steckt in einer tiefen Haushaltskrise und schafft es seit Monaten nicht sich mit dem Unternehmersektor (ARENA-ANEP) zu einigen. Die politische Polarisierung zwischen rechts und links schwelt wie eh und je und der Wahlkampf hat schon wieder begonnen (2018 sind Parlaments- und Kommunalwahlen und 2019 Präsidentschaftswahlen).
Seit dem endgültigen Scheitern der Tregua (Waffenstillstand zwischen den Maras unter Beteiligung der Regierung) Anfang 2015 ist es wieder düsterer geworden in den Barrios und Cantones des Landes. 2015 und 2016 waren die gewaltreichsten Jahre des noch jungen Jahrhunders und seit einem Jahr wird El Salvador mit einer Notstandsgesetzgebung für den Sicherheitsresort regiert. Vor gut 2 Jahren hat die Regierung von Salvador Sánchez Cerén den Maras den Krieg erklärt und seitdem durchkämen Polizei-Sturmkommandos und Eliteeinheiten der Armee die Viertel der Armen und Vergessenen. 
 
Opfer sind letztlich alle, die es sich nicht leisten können in dem anderen El Salvador zu leben, in dem El Salvador der Einkaufsmalls und Allrad-Fahrzeuge, wohlbehütet durch private Sicherheitsleute und hohe Mauern. Opfer sind vor allem männliche Jugendliche zwischen 14 und 25 Jahren. Sie sind Opfer der Maras, denn sie werden zwangsrekrutiert oder ermordet. Sie sind Opfer einer Gesellschaft, die ihnen keine Zukunft bietet, sie ausgrenzt und oft keinen anderen Ausweg als die Mara lässt. Sie sind Opfer der Polizei und der Militärs, die sie für grundsätzlich verdächtig halten und vorsichtshalber zuerst niederprügeln, einsperren, foltern, verschwinden lassen oder erschiessen und dann nachfragen. Opfer sind aber auch Mädchen und Frauen in El Salvador, Opfer eines extrem patriarchalen Systems, das keinen Respekt vor Frauen kennt. Opfer sind die Familienangehörigen der Ermordeten von gestern und heute, die noch immer kein Gehör, geschweige denn Gerechtigkeit finden. Ebenso sind Opfer viele Angehörige der Polizei und der Armee die einem extrem hohen psychischen Druck bei Hungerlöhnen ausgesetzt sind und häufig zum Töten und Foltern gezwungen werden. Opfer sind die unzähligen Familien, die aufgrund von Todesdrohungen ihre Viertel verlassen müssen, alles zurücklassen und ziellos durch das Land oder über die Grenzen irren. Opfer sind aber ebenso viele Bandenmitglieder und deren Familienmitglieder, die von den Umständen in diese schreckliche Lebensrealität getrieben wurden, die nicht wieder herauskommen, wenngleich sie nichts sehnlicher wollen und, die von den Sicherheitskräften oftmals grundlos und ohne Beweise verfolgt und ermordet werden.
Ja, leider sind viele Dinge die man aus Erzählungen aus den schrecklichen Jahren des Bürgerkriegs kennt wiedergekehrt. Es gibt zahlreiche dokumentierte Fälle von Folter, Verschwindenlassen und aussergerichtlichen Hinrichtungen. Die Menschenrechtssituation ist höchst prekär. Zugleich lässt die Regierung beste Schlagzeilen drucken und will den Eindruck vermitteln, ihre Sicherheitsstrategie des “Kampfes gegen das Verbrechen” sei erfolgreich. Die Regierung des Wandels und die zweite Regierung der linken FMLN, auf die das Volk einst so viel Hoffnung gesetzt hatte, hat in Sachen Sicherheit, Gerechtigkeit und Menschenrechte nur wenig Wandel gebracht. Im Gegenteil, es ist erschreckend und traurig zu sehen wie die ehemaligen Guerrilla-Führer sich heute genau die Rethorik und die Methoden derer zueigen gemacht haben, die sie vor gut einem viertel Jahrhundert noch bekämpft haben. Besonders schizophren war dies um die Feiern des 25. Jahrestags des Friedensabkommens, das hier sehr gross am 16. Januar diesen Jahres gefeiert wurde. Während der Präsident von Frieden, Wohlstand und “buen vivir” spricht, erzählen mir unterschiedlichste Menschen, dass das was sie heute erleben schlimmer sei als der Krieg. Von Frieden kann also keine Rede sein.
Nun drängt sich unweigerlich die Frage auf: Würde das Land unter einer anderen Regierung, gar einer rechten ARENA oder GANA Regierung besser dastehen? Ganz sicher nicht. Leider gibt es derzeit wenige politische Alternativen und somit bleibt nichts als von allen Ecken und Enden her auf einen echten Wandel hin zu arbeiten, für transparente Gerichtsverfahren, für die Menschenrechte, für faire Löhne, für den Schutz der Umwelt, für Wahrheit und Gerechtigkeit. Die gute Nachricht ist, es gibt viele Menschen in El Salvador die das tun und das macht Hoffnung.

Der Chef der nationalen, zivilen Polizeibehörde beschuldigt vor dem Eingang der Kathedrale Organisationen der Zivilbevölkerung eine Schmutzkampagne gegen die Institution initiiert zu haben wegen, ihmzufolge, “angeblichen Menschenrechtsverletzungen”. (Diario CoLatino, Montag, 20.03.2017



Ein kleines Senfkorn unter vielen


An der UCA versuchen wir seit Oktober unseren, zweifellos sehr kleinen und bescheidenen Beitrag zu leisten. Zum einen haben wir vom Masterstudiengang aus ein Forschungsprojekt begonnen, das uns ein wenig aus unserer Museumsmentaliät an der UCA wachrütteln und das Erbe unserer Märtyrer in den Dienst der heutigen Zeit stellen will. Wir versuchen die aktuelle Realität von unten, von den Opfern her zu verstehen. Dazu führen wir Interviews mit Hinterbliebenen von Mordopfern und Verschwundenen, mit intern Vertriebenen und Menschen die von den staatlichen Sicherheitskräften und den Maras verfolgt und misshandelt wurden. Wir besuchen Viertel und Einrichtungen, wo es Menschen schaffen mit viel harter Arbeit dem massenweisen Sterben Leben entgegenzusetzen und wir versuchen ihre Erfahrungen zu systematisieren. 
 
Unser Anliegen ist es in dieser gähnenden Leere von Tod und Zerstörung Zeichen der Hoffnung und des Lebens auszumachen und in diese Realität hinein ein Wort der Befreiung zu rufen. Das ist eine grosse Herausforderung, denn die Gegner sind allgegenwärtig. Wir stehen noch ganz am Anfang und die Fussstapfen sind übergross, doch sie dienen uns als Beispiel und Antrieb.
Ein wichtiges Element des Projekts ist es die salvadorianische Gesellschaft für ihre Opfer zu sensibilisieren und den öffentlichen Diskurs zum “Sicherheitsthema” zu beeinflussen. Dies versuchen wir zum einen über die Medien. Hier findet ihr zwei Links mit den ersten beiden Kolumnen in der Online-Zeitung El Faro:


Des weiteren arbeiten wir gerade daran den Masterstudiengang “Teología Latinoamericana” mehr Menschen, an mehr Orten zugänglich zu machen. Wir glauben, dass in der heutigen Welt zwischen Klimakatastrophen, Kriegen und globalisierter Ausbeutung der Ärmsten, die Stimmen eines Romero, eines Rutilio, einer Rufina Amaya, eines Ellacuría oder einer Berta Cáceres gehört werden müssen und wir sie, wie Jon Sobrino zu sagen pflegt, viel neues produzieren lassen müssen. 
 
Fotoausstellung im Centro Mons. Romero, UCA


Anfang 2018 soll der Masterstudiengang online gehen und sich somit auch unser kleiner Widerstand globalisieren. Bis es soweit ist, seid ihr alle herzlichst eingeladen auf unserer Website (http://www.uca.edu.sv/maestria-en-teologia-latinoamericana/) vorbeizuschauen, wo ihr schon heute reichlich Material und Links zu unseren Aktivitäten und Kongressen findet. Zum Schluss möchte ich euch noch kurz um eure Mithilfe bitten. Damit das salvadorianische Bildungsministerium unseren Online-Masterstudiengang genehmigt, müssen wir unter anderem vorweisen, dass es viele, viele und auch internationale Interessierte gibt, die sich vorstellen könnten das Programm zu studieren. Wir wären euch sehr dankbar, wenn ihr euch kurz Zeit nehmen würdet ganz unverbindlich den folgenden Fragebogen auszufüllen: https://docs.google.com/forms/d/e/1FAIpQLSe7ZJ5FpchT7GFxNlO-pF1-Tv2hfp9Djkg1eEQmFQS3IDA-jg/viewform?c=0&w=1


Herzlichen Dank allen, die bis zum Ende durchgehalten haben ;) Ich freue mich über eure Verbundenheit mit El Salvador und der UCA und hoffe auch weiterhin mit euch in Kontakt bleiben zu können.
Beste Grüsse und Gottes reichen Segen in dieser bewegten Zeit,


Benjamin Schwab


¡VIVA SAN ROMERO DE AMÉRICA!


¡VIVA RUTILIO SANTO!


¡VIVA LA JUSTICIA Y LA PAZ PARA TOD@S!