Dienstag, 12. März 2013

Ankommen...

Neubeginn braucht Kraft, Ruhe und Zeit. Diese Erfahrung habe ich in den vergangenen beiden Wochen, seit meinem letzten Blogeintrag gemacht. Manch einer mag sich vielleicht gewundert haben, wo ich wohl stecke und warum ich so plötzlich nichts mehr von mir hören lasse. Nun, ich habe diese Zeit gebraucht und sie genutzt, ein Stück weit los zu lassen, hier in dieser neuen Umgebung anzukommen, Fuß zu fassen. Denn wer nicht loslässt und aufbricht kann niemals ankommen. Es geht mir gut. Ich habe keine großen Abenteuer zu berichten in diesen Tagen, nur kleine, viele kleine. Begegnungen, Augenblicke, Anblicke, kleine Wunder, wie einzelne farbige Steine die zusammen ein buntes Mosaik bilden, mein Leben in El Savador.
Ich durfte vieles kennenlernen in den letzten Tagen und Wochen, vielleicht so vieles, dass ich es selbst kaum fassen, ergründen kann. Die Anfangseuphorie, in der man alles was einem in dieser neuen Welt begegnet ungefiltert aufsaugt, ist verflogen. Dies bedeutet keineswegs, dass meine Begeisterung und mein Staunen über dieses Land und seine Menschen verblasst ist, sondern vielmehr, dass es bereits ein Teil von mir geworden ist. Diese Tage der (relativen) Ruhe und des Ankommens waren sehr gut und ließen mich etwas mehr begreifen was vor sich geht.
Wie ich schon einmal erwähnte, wohne ich seit mittlerweile einem Monat in einer WG direkt neben der Uni in der Calle del Mediterráneo. Eine WG wie ich sie mir hier besser kaum vorstellen hätte können. Nun gut, es ist vielmehr ein Haus in dem Zimmer für junge Leute vermietet werden, die meisten studieren, andere arbeiten bereits. Außer mir wohnen hier Carlos, von dem ich bereits geschrieben habe. Der Informatikstudent ist passionierter Musiker, schreibt seine eigenen Lieder und ein  großer Künstler mit dem Wort und der Gitarre. Alonso ist seit kurzem fertig mit seinem Jurastudium und arbeitet als Anwalt bei einer staatlichen Behörde zum Schutz der Kinderrechte. Arnoldo ist Theologiestudent im letzten Jahr. Sara hat ihr Studium auch bereits abgeschlossen und arbeitet im Management einer großen Spielwarenkette. Die beiden Jüngsten, Jorge und Orlando, haben soeben ihr zweites Jahr an der UCA begonnen und studieren Psychologie und Ingenieurswesen. Auch wenn wir keine gemeinsame Küche oder einen Aufenthaltsraum haben verbringen wir recht viel Zeit zusammen. Meistens abends sitzen wir in unserem kleinen Innenhof, essen zusammen, spielen Gitarre, lassen bei einer endlich kühlen Brise den Tag ausklingen.
Meine Tage haben hier noch recht wenig Struktur. Das Studium beginnt erst morgen, die Vorlesungen werden von 17.00 bis 20.00 sein. Für den Vormittag suche ich gerade noch ein Projekt oder eine Einrichtung in dem ich ehrenamtlich mitarbeiten kann, eine Arbeitsgenehmigung habe ich ja nicht. Doch da findet sich sicher etwas. Bisher war ich tagsüber zumeist damit beschäftigt e-mails an verschiedenste Institutionen zu schreiben, Behörden aufzusuchen, Dokumente vorzubereiten, Kopien zu machen. Ich war letzte Woche mehrmals bei der Migrationsbehörde und habe mittlerweile sogar meine vorläufige Aufenthaltsgenehmigung. Bei der Uni bin ich nun auch endlich eingeschrieben nach zahlreichen, Terminen, Fristen, Telefonaten. Um genau zu sein habe ich in den letzten Wochen einen  Behörden- und Bürokratiemarathon durchlaufen, wie ich ihn mir in den kühnsten Träumen nicht hätte vorstellen können und der mich sehr viel Zeit und Energie gekostet hat. Und dies ist erst der Anfang. Um meinem Studium hier letztlich Gültigkeit zu verleihen muss ich all meine bisherigen Zeugnisse, zumindest das Abiturs- und das Bachelorzeugnis hier beim Bildungsministerium vorlegen und anerkennen lassen. Ein Vorhaben, dass mir bereits jetzt Schweißausbrüche verursacht und über das ich an dieser Stelle nicht mehr Wort verlieren möchte. ;)

Ein Abend auf unserem WG-"Balkon"

Meine neue "Küche"

Ohne Worte
Heute am 13.03.2013 beginnt hier an der UCA das neue Semester, morgen meine Vorlesungen. Ich bin sehr gespannt darauf und freue mich. Ach ja, heute am 13.03.2013 hat sich die heilige katholische und apostolische Kirche auch einen neuen Oberhirten beschert. Der argentinische Kardinal Jorge Mario Bergoglio ist seit heute "el Papa Francisco I." Den Beginn des Pontifikats des ersten lateinamerikanischen Papstes, eines Jesuiten, in Lateinamerika zu erleben ist etwas besonderes und verspricht spannend zu werden, vielleicht gerade auch an einer Jesuitenuniversität. Ich wurde bereits von Menschen aus anderen Teilen der Welt berechtigterweise gefragt, wie die Wahl dieses Papstes hier in Lateinamerika aufgenommen wurde, was zu erwarten sei.
Bisher hatte ich leider noch keine Zeit mich näher mit der Sache auseinanderzusetzen und kann wenig über das sagen was kommen könnte. Ich habe lediglich in der ersten verhaltenen Hysterie hier und da einige Fetzen aufgeschnappt, u. a. auch von hier lebenden Argeninier/innen selbst. "Kardinal der Armen", "während der Militärdiktatur in Argentinien hat er sich einiges zu schulden kommen lassen", "unser 'geliebter' Bergoglio". Was all das zu bedeuten hat wird sich zeigen. Was ich insgesamt wahrnehme in dieser Gesellschaft in der heute "nur" noch ca. 50% der Bevölkerung katholisch sind (vor 25 Jahren waren es noch weit über 90%; evangelische Freikirchen aus den USA schießen hier überall aus dem Boden), ist, dass der Vatikan und der Papst weit weit weg sind und so manches was in Rom gesagt wird den Alltag und die Lebensrealität der Menschen hier (auch der Katholiken) nur unwesentlich tangiert. Dies ist meine rein subjektive Wahrnehmung.
Eine kleine Anekdote, wie ich selbst von der Wahl erfahren habe und die ich vermutlich nie wieder vergessen werde, möchte ich dennoch berichten.
Ich war wie so oft um diese Zeit zum Mittagessen im "Comedor de la abuela" bei mir um die Ecke, einem kleinen Familienrestaurant, das federführend von einer beeindruckenden älteren Dame, schätzungsweise um die 80, betrieben wird und wo es ein köstliches mittelamerikanisches Mittagsmenü gibt. Ich hatte kurz zuvor Theresa auf der Straße getroffen, eine gute Bekannte, Deutsche, und ehemalige Studentin der UCA, die mit ihrem Mann, einem Argentinier, ganz in der Nähe wohnt. Wir aßen also zusammen. Plötzlich erhielt sie eine SMS von ihrem Mann Eduardo, der schrieb: Es gibt einen neuen Papst, er ist Argentinier. In einer gewissen Euphorie des Augenblicks blickten wir uns an und Theresa rief der der Señora, die im Restaurant bedient zu: "Ya hay papa!" (Es gibt einen Papst!) Die Frau schaut sie einigermaßen verdutzt an und fragt: "Así, de verdad? Ya trajeron la papa?" (Ach tatsächlich? Haben sie die Kartoffeln schon geliefert?). Allgemeine Verwirrung. Man muss dazu wissen, dass "papa" im lateinamerikanischen Spanisch sowohl das Wort für Papst (el papa) als auch für Kartoffel (la papa) ist. Als sich das Missverständnis aufklärt ist das Gelächter nicht mehr aufzuhalten. Keiner hatte hier mit einem so schnellen Ausgang des Konklaves gerechnet. Im Nebenzimmer wurde das Fernsehgerät eingeschaltet und gespannt den ersten Worten des neuen Pontifex Maximus (Oberster Brückenbauer) gelauscht. Welche Taten auf diese Worte folgen bleibt abzuwarten, zu hoffen bleibt, dass er viele Brücken bauen wird, Brücken zu den Völkern dieser einen Welt, Brücken zu den unterschiedlichen Religionsgemeinschaften und Brücken in diese, unsere Zeit.

Es tat gut wieder einmal zu schreiben und ich wünsche mir dies öfter tun zu können. Ich freue mich von euch zu Hause und aus der ganzen Welt zu hören und hoffe, dass auch in Deutschland der Schnee bald schmilzt und der Frühling endgültig Einzug hält. Hier in San Salvador ist die Hitze mittlerweile fast unerträglich geworden. Ich habe eine sehr enge Beziehung zu meinem 5-Gallonen-Trinkwasserspender aufgebaut und schleppe mich die nötigsten Meter zum nächsten Laden und zur Uni.
Die besten Grüße aus San Salvador al mundo und bis ganz ganz bald,
Benjamin


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