Montag, 25. Februar 2013

Ruhige Töne, hohe Wellen

Die UCA ist nicht nur Geschichte. Sie ist vor allem Gegenwart und immer auch ein bisschen Zukunft. Das Motiv des Unterwegsseins in eine bessere Zunkunft begegnet mir immer wieder bei jedem Gang über den Campus. UCA ist kritisch, schaut genau hin, fragt nach und öffnet Räume für den Wandel. Ein kleines Beispiel dafür ist der "Ciclo de cine salvadoreño e independiente". In der Filmreihe der UCA wird über 6 Wochen hinweg salvadorianisches und zentralamerikanisches unabhängiges Kino gezeigt, häufig low-budget Dokumentarfilme, die jedoch einzigartige Einblicke in die Geschichte und Gegenwart dieser Region und ihrer Menschen gewähren. Für mich eine willkommene Einführung in die vida salvadoreña. In der UCA findet häufig gerade das Kleine, Extravagante, fast Verborgene eine Bühne, auf der es entdeckt werden will und kann. Am Samstagabend durfte ich so eine Bühne entdecken. Im Auditorio "Ignacio Ellacuria" dem AudiMax der UCA fand das "4° Encuentro de cantautores" statt, ein Treffen von Gößeren und Kleineren Liedermacher/innen und Sänger/innen aus ganz El Salvador, aus México und Uruguay. In einem beinahe gefüllten Auditorium präsentierten sie ihre Arbeiten. Lieder über die Liebe, das Vergessen, und zahlreiche politische Gedichte, die einzigartig virtuos zu Musik wurden, über den Bürgerkrieg, über die Desaparecidos (Verschundene und Verschleppte, die es in nahezu jeder salvadorianischen Familie gibt), über Ungerechtigkeit und Gewalt. Ältere und bekannte Größen der salvadorianischen singer-songwriter Szene trafen hier auf junge, nationale Nachwuchstalente und fesselten  mit einer natürlichen Bescheidenheit und Nahbarkeit das Publikum. Einige der Highlights und Interpreten konnte ich bereits vorab kennenlernen, beim "Griechen" an der Ecke, wo sie jeden Donnerstag Abend in geselliger Künstlerrunde 'jammen' und bei einem kühlen Bier über die Welt und mehr diskutieren. Hier ist jeder ein Künstler und eingeladen mit am Tisch zu sitzen, zu lachen und zu singen. Mein Mitbewohner Carlos, Informatikstudent an der UCA, ist einer dieser Talente und kennt die Szene wie kein anderer. Er hatte bereits zahlreiche Auftritt im nationalen Fernsehen und verschiedenen Radiostationen. Am Vorabend noch die Generalprobe auf unserem WG Balkon stand er am Samstagabend mit "Amélie", seiner Gitarre, auf der Bühne und gab eine seiner herzhaften Balladen zum besten. Ein Abend im Kleinen, aber ein Abend der großen Geschichten und Gefühle. Hmmm... dies klingt fast wie eine Metapher für dieses kleine, großartige Land.


Mein Mitbewohner Carlos Cruz

Melissa Oliva

Ariosto Montesinos aus México


Carlos singt "Lamparita"

Am Sonntagvormittag durfte ich schließlich eine weitere Seite dieses Landes kennenlernen. Mario nahm mich gemeinsam mit Lorien mit zur nahen Pazifikküste. Das Rote Kreuz El Salvadors organisierte dort an diesem Tag ein großes Event, "El Paso del Hombre" (frei: Die Große Durchquerung). Etwa 100 Freiwillige des Roten Kreuzes, Jugendliche und Erwachsene aus dem ganzen Land sowie eine Gruppe aus dem benachbarten Honduras, stellten sich der Herausforderung eines Schwimmmarathons. Ziel war es von der Provinzhauptstadt La Libertad in den Pazifik hinauszuschwimmen und schließlich in einem großen Bogen die Playa de San Blas zu erreichen, 21km auf dem offenen Meer, begleitet von Versorgungsbooten des Roten Kreuzes ausgestattet mit Notfallausrüstung inklusive Sauerstoffgeräten, die alle aufnahmen, die auf der Strecke blieben. Wer die Probe bestand und bis zum Ende durchhielt erhielt das Privileg während der kommenden Saison als "guardavida" (Küstenretter, baywatch) zu arbeiten. "El Paso del Hombre" ist also als eine Art Qualitätssiegel für Küstenretter des Roten Kreuzes zu verstehen. Da badet es sich gleich viel beruhigter.
Früh um 7.00 Uhr machten wir uns auf den Weg die knappe halbe Stunde hinunter von San Salvador zum Strand. Die Hafenmole und der Strand im Puerto de la Libertad waren bereits gefühlt mit Menschen, Cumbia Klänge tönten aus den Lautsprechern, die Sonne stand hoch am Himmel. Schwimmerinnen und Schwimmer versammlten sich in verschiedenen Gruppen entsprechend ihrer Badekappenfarbe und lockerten ihre Muskeln. Nach einer kurzen Begrüßungsansprache der Organisatoren startete die erste Gruppe enthusiastisch in die Fluten. Zunächst ankämpfend gegen die mächtigen Wellen, die sich schäumend auf dem Sandstrand brachen, verschwanden sie in der Gischt und waren bald nur noch als kleine farbige Punkte vor dem Horizont auszumachen. Wenige Minuten später startete die nächste Gruppe und wieder die nächste. 

Die Mutigen gehen in Startaufstellung...

...stürzen sich in die Fluten...

...und verschwinden bald im Blau des Ozeans.

Während sich die Rettungsschwimmer durch die unruhigen Fluten und verhängnisvollen Strömungen des Pazifik quälten erkundeten wir die entspanntere Seite der Küste vom Land aus. Auf der Hafenmole verkaufte man frischen Fisch, Hummer, Krebse, Muscheln und was das Meer an diesem Tag sonst noch so hergeben wollte. Die Fischerboote wurden per Lastenkran auf den breiten Steg hinaufgezogen und der Fang sofort auf den Verkaufstisch gebracht oder gar direkt vom Boot weg verkauft. Ein dichtes Gedränge herrschte an diesem Tag an der Anlegestelle. Einheimische, Strandbesucher aus der nahen Hauptstadt und vereinzelt auch ausländische Touristen wollten von hier aus einen Blick auf die mutigen Schwimmer/innen erhaschen, die angenehme Brise genießen oder einen besonders guten Preis für das Mittagsmal erzielen. Eine Rettungsfliegerstaffel präsentierte dem Publikum in Zusammenarbeit mit der salvadorianischen Luftwaffe verschiedene Luftrettungstechniken, die von der begeisterten Menge mit angehaltenem Atem vom Ufer aus beobachtet wurden. Stand die Sonne schon hoch am Himmel, stieg sie nun noch höher und machte die Hitze fast unerträglich. Nach einer kleinen Stärkung im Schatten der Strandpromenade machten wir uns mit dem Auto auf den Weg nach San Blas. Mein erstes echtes Stranderlebnis am mittelamerikanischen Pazifik. Es übertraf all meine Erwartungen. Vom mächtigen Pazifik steigt flach ein dunkler, feiner Sandstrand auf, sauber und in der Sonne glühend verliert er sich nach etwa 50 Metern schließlich im schattigen Grün der Palmenhaine. Das musste ersteinmal wirken und wie kann dergleichen besser wirken als bei einem erfrischenden Kokoscocktail direkt aus der "Nuss". Während ich mich endlich selbst in die warmen Fluten stürzte kamen in Sichtweite bereits die ersten Schwimmer nach mehreren Stunden Hochleistung am Strand von San Blas an. Auch wenn den drei schnellsten attraktive Geldpreise winken zählt hier hauptsächlich das Dabeisein und das Ankommen.
Nach einem kurzen Zwischenstop bei einer Brutstation für Meeresschildkröten und einer deftigen Stärkung in einer der traditionellen Marisquerías in La Libertad kehrten wir am frühen Nachmittag zufrieden und etwas benommen von so viel Sonne in die sonntäglich ruhige Hauptstadt zurück.
Ein schöner Tag.
Danke Mario, Norma, Lorien und Fer für eure Freundschaft und die unvergesslichen Abenteuer in eurem beeindruckenden Land!!!
In die Welt hinaus sage ich wieder einmal danke fürs Lesen, Mitleben und Schreiben und bis zum nächsten Mal mit herzlichen Grüßen aus San Salvador :)


Die Armee übernimmt in El Salvador seit einigen Jahren wieder die Sicherung öffentlicher Plätze - in Anbetracht der jüngeren Geschichte des Landes ein nicht unproblematischer Fakt.



Ein potentieller Käufer begutachtet den Fang











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