Mittwoch, 10. April 2013

Guatemala, ewiges Land der Maya (Teil 2)

Der Abend legt sich langsam, wie ein dunkles Tuch über die Plaza vom Chwikaqá. Das leichte T-Shirt, das tagsüber noch vor der stechenden Hitze und den brennenden Strahlen der Sonne geschützt hatte, kann nunmher kaum etwas gegen die ungeahnte Kälte ausrichten, die wie aus dem Nichts aufzieht, sobald die Sonne untergegangen ist. Schnell etwas wirklich warmes überziehen, wie ich es seit dem Tag meines Abflugs in Deutschland nicht mehr getan hatte, und wir werden zum Abendessen gerufen.
Als vor etwa einer Stunde angekommen waren, wurden wir bereits erwartet und die gesamte Gemeinde war in der Kirche zur Feier des Abendgottesdienstes versammelt. Wir nutzten die Gelegenheit uns kurz vorzustellen und einen ersten Eindruck von dieser offensichtlich so anderen Welt zu bekommen. Ich bin nicht mehr sicher ob ich schon von den wunderschönen Trachten der Mayafrauen geschrieben habe, den warmen und perfekt abgestimmten Farben der Wickelröcke und den blumenbestickten Huipiles (Oberbekleidung), den breitkrempigen Stroh- und Filzhüten der Männer, dem strahlenden Lächeln der Kinder. Man kann jedenfalls nicht genug davon schwärmen und ich werde mich diesbezüglich sicher wiederholen. Ein junger Mann aus dem Koordinatorenkreis der Gemeinde übersetzte unsere Vorstellung spontan aus dem Spanischen in die lokale Maya-Sprache, Quiché, einer von hunderten indigenen Sprachen und Dialekten, die bis heute in Mittelamerika von beträchtlichen Teilen der Bevölkerung gesprochen werden. Wie in vielen ländlichen Gebieten Guatemalas sprechen auch in Chwikaqá nur einige der gebildeteren Bewohner spanisch, vor allem die jungen Leute, aber auch einige Ältere, die als Händler viel im Land herumgekommen waren.




Das Abendessen wird uns an diesem Abend von der Familie von Don José, einem älteren und angesehenen Mann mit Halbglatze und buschigem Schnauzbart im Gemeindehaus neben der Kirche serviert. Seine Frau, die Tochter und die beiden Enkel José und Antonio sind bereits eifrig dabei Tortillas zu backen und Bohnen zu servieren. Die Mahlzeit ist einfach, aber köstlich zubereitet und mehr als sättigend. Don José leitet die Unterhaltung, begleitet vom Lächeln und Tuscheln der anderen. Es interessiert ihn wo genau wir herkommen, wie weit das ist und wie teuer. Er selbst hatte Guatemala offenbar in seinem gesamten Leben noch nicht verlassen. Die Welt, Europa, entfernte Orte kennt er aus dem Fernsehen und aus Erzählungen. Er erzählt: "Hier bei uns in Chwikaqá haben die Häuser nur ein oder höchstens zwei Stockwerke, in der Stadt haben sie drei oder vier. In den Vereinigten Staaten gibt es Häuser mit noch mehr Stockwerken, dort, wo die Leute Geld haben und wo Flugzeuge gebaut werden." Er lacht. "Hier ist es anders, ruhig. Hier gibt es nichts, nur unsere Arbeit... die Aussaat. Das ist unser Leben", fügt er hinzu und lächelt.
Müde vom guten Essen, der netten Gesellschaft, der dünnen Luft und dem anstrengenden Tag machen wir uns auf den Weg zum verdienten Nachlager. Während meine drei ReisegefährtInnen im Gemeindezentrum übernachten, habe ich dankbar das Angebot von Juan, dem Gemeindekoordinator, angenommen, die Tage bei seiner Familie zu wohnen. Vier Tage in einer Maya-Familie, das bedeutet Kultur und Begegnung hautnah zu erleben, neues zu lernen, dabeizusein. Neugierig wie ich bin, konnte ich diese Einladung unmöglich ausschlagen. Voller Vorfreude und Spannung folge ich Juan in die Dunkelheit. Wir gehen etwa 15 Minuten durch das unebene und abschüssige Gelände. Das Haus der Familie liegt außerhalb des unmittelbaren Ortszentrums, jedoch noch relativ nahe verglichen zu dem Weg den andere Dorfbewohner täglich zurücklegen, wie ich diese Tage noch feststellen sollte. Lediglich der erste Frühlingsvollmond spendet genügend Licht, um nicht über jeden Stein und jedes Schlagloch zu stolpern. Juan zeigt mir die Nachbarschaft und erklärt mir wer wo wohnt. Er zeigt ins Tal, wo sich auf der Hochebene eine Vielzahl von Lichtern ausmachen lässt. Die Provinzhauptstadt Santa Cruz del Quiché, die nächste Verbindung zur Außenwelt für die Bewohner von Chwikaqá, ein Krankenhaus, ein Markt, eine Universität, in gut einer Autostunde Entfernung. Juan erzählt mir von seinen Reisen an die Küste, die er früher häufig unternommen hatte, um Waren zu verkaufen, dass er dort Spanisch gelernt habe. Ich erzähle ihm von Deutschland, vom Winter und, dass auch ich Spanisch erst lernen musste. Nach einer letzten Wegbiegung bleibt Juan vor einer Haustüre stehen, sperrt auf und bittet mich einzutreten. Ich trete in einen großzügigen Innenhof, der von einigen Glühbirnen spärlich erleuchtet wird. Der Hof wird zu allen vier Seiten von einfachen Arkaden umgeben, die zu den angrenzenden Zimmern führen. Auf der dem Eingang gegenüberliegenden Seite steht ein großer steinerner Waschtisch. Juan führt mich sogleich zu meinem "Gästezimmer", wo ich mein Gepäck ablegen kann. Die aufgesstapelten Wolldecken auf dem Bett, lassen mich bereits die Kälte der Nacht erahnen. Elegante Fließen, wie ich sie hier kaum vermutet hätte, bedecken den Fußboden des Zimmers und zahlreiche Ehrenurkunden und Zertifikate über Juans Engagement zieren die Wände. Ich werde den Verdacht nicht los, dass die Eltern mir als Gast ihr Schlafzimmer überlassen hatten, sollte dies jedoch bis zum Schluss nicht herausfinden, was aber nicht weiter schlimm ist und mich nur noch dankbarer für die freundliche Aufnahme macht. Auf den ersten Blick scheint das Haus der Familie Soc Lux bescheiden, aber stilvoll eingerichtet zu sein. Juan bedeutet mir ihm in die Küche zu folgen. Juans Frau Sandra hat in der Küche bereits das Abendessen bereitet. Abendessen? Genau, nochmal Abendessen. Sie begrüßt mich freundlich und nach und nach huschen auch die sechs Kinder der Familie in die Küche. Juan ist schätzungsweise Ende 30, seine Frau 32. Andrés ist mit 18 Jahren der Älteste der sechs. Ihm folgen wie die Orgelpfeifen Gaspar, Isabel, das einzige Mädchen, Antonio, David und Jonás. Die kleine Cousine Candelaria zähle ich nun einfach auch zur Familie, da sie während der ganzen Zeit da war, also sieben. Die kleineren begutachten mich zunächst skeptisch und scheu aus der Entfernung, tuscheln und kichern. Andrés habe ich bereits im Gemeindezentrum kennengelernt und er begrüßt mich herzlich. Ich blicke mich um. Ich befinde mich in einem recht düsteren Raum. Die Familie sitzt auf Stühlen und Hockern um einen flachen, gemauerten Holzofen herum, der das Zentrum des Raumes bildet und in dem ein angenehm warmes Feuer lodert. Auf der tonernen Herdplatte stehen mehrere Töpfe deren Inhalt gemächlich vor sich hin köchelt. Doña Sandra serviert uns allen Tortillas, Chicharrón und zum Aufwärmen einen warmen Kaffee. Sie scheint interessiert und versucht sich mit einigen Fragen. Sie spricht nur wenig Spanisch. Langsam verlieren auch die Kinder ihre Schüchternheit. Wir unterhalten uns angenhem und ich bitte sie mir ein wenig Quiché beizubringen. Aus Erfahrung weiß ich, dass es einem unendlich viele Türen und Herzen öffnen kann, wenn man Menschen in ihrer Muttersprache anspricht, wenn es auch nur der kläglichste Versuch und der kleinste Brocken ist. Der Versuch zählt. Zum Vergnügen aller bringe ich mit Müh und Not ein "Xoq agab...nbi 'riin Benjamin... riin ki petiq Alemania", (Guten Abend, ich heiße Benjamin. Ich komme aus Deutschland.) über die Lippen. Wir lachen, reden, essen, trinken. Ich fühle mich willkommen und freue mich auf die kommenden Tage.

Familie Soc Lux beim Abendessen
Auch Katze "Pelusa" weiß wo es sich aushalten lässt

Es ist spät geworden. Ich trete aus der Küche in den Innenhof und schon hat mich die Kälte wieder. Ich verabschiede mich mit einem umständlichen "chuyaq' chiq" (bis morgen), sogleich von schallendem Gelächter beantwortet, auf das Zimmer, mache es mir auf der geräumigen Holzpritsche bequem und verschwinde dankbar unter den vier Wolldecken.
Es erscheint mir unglaublich, dass wir an diesem Morgen erst vom CEFAS in der Hauptstadt aufgebrochen waren. Ich schlafe bald ein in dieser so entfernten, anderen Welt. Morgen ist Gründonnerstag.

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