Freitag, 26. April 2013

Guatemala, ewiges Land der Maya (Teil 4)

Ich muss den Kopf einziehen als ich über die schmale Türschwelle trete. Im Inneren der Kammer ist es halbdunkel, an der Wand ist ein reich geschmückter Altar aufgebaut, darüber hängen Fotographien der Familie. Don Juna, einer der vielen Juans in Chwikaqá, weit in seinen Achtzigern, erwartet uns zusammengesunken auf einem Stuhl. An diesem Vormittag wollen wir einige der ältesten und kranken Dorfbewohner besuchen, die aufgrund ihrer körperlichen Verfassung kaum noch das Haus verlassen und schon gar nicht den Weg ins Dorfzentrum zur Feier der Kartage gehen können. Der andere Juan sowie ein weiteres Gemeindemitglied, die uns auf den Besuchen begleiten, stellen uns der Familie vor. Alle freuen sich sehr über die Überraschung. Der alte Mann leidet an einer vermutlich rheumatischen Erkrankung und hat starke Schmerzen in den Gliedmaßen, er kann kaum laufen. Dennoch hat er ein Lächeln auf dem Gesicht und dieses magische Leuchten in den Augen, das mir hier noch häufiger begegnen soll. Spanisch spricht er kaum, weshalb Juan (der Gemeindekoordinator, in dessen Familie ich wohne) alles auf Quiché übersetzt. Agustín spendet ihm die Krankenkommunion und wir werden gebeten für den Kranken zu beten. Jeder solle zunächst in seiner Muttersprache beten und danach auf Spanisch, was wiederum von Juan ins Quiché übersetzt wird. Wir bitten um Gesundheit, um Frieden und Harmonie in der Familie, eine gute Ernte, alles was man hier zum Leben braucht. Wir beten auf Spanisch, Deutsch, Kroatisch, Quiché. Alles ist gut, keine Fragen nach der Form, nach dem Gott, der Religion. Die Welt wird eine in diesem Land der Maya. Der alte Juan hat Tränen in den Augen. 
Die Familie ist sehr dankbar und man serviert uns, wir trauen unseren Augen kaum, Pan panela und Atol de maza. Immernoch gefüllt von dem dreifachen Frühstück schlürfen wir den warmen Maisbrei aus und knabbern mühevoll am Brot. Den Rest lassen wir uns einpacken, denn die Gabe zurückzuweisen wäre unhöflich. Wir verabschieden uns machen uns auf den Weg zum nächsten Haus. Wir wiederholen die Zeremonie im Haus eines blinden Mannes von angeblich 95 Jahren (der Umgang mit Zahlen allgemein ist in diesen Dorfgemeinschaften oft recht kreativ und symbolisch).
Auf dem Rückweg in den Ortskern, über steile und steinige Pfade vorbei an fruchttragenden Apfel- und Pfirsichbäumen und begleitet vom Blöken der Schafe und Ziegen beginnt es uns zu dämmern. Es ist bereits nach 12 Uhr, früher oder später wird es Mittagessen geben. Ich konnte in diesem Moment nicht einmal ans Essen denken. Musste ich auch nicht denn ehe ich mich versah fand ich mich im Haus der Familie von Pedro und Katti, zwei der Jugendlichen des Dorfes wieder, und hatte einen Teller voller Reis mit Bohnen und Salat vor mir. Eigentlich hatte ich nicht vor soviel von Essen zu schreiben, aber es ist einfach die Haupttätigkeit an diesem Tag. Glücklicherweise ist es sehr sehr lecker und die Familie einfach der Knüller. Die Eltern betreiben mehrere Läden im Ortskern von Chwikaqá und die Kinder studieren teilweise an der Uni in Santa Cruz. Es ist eindeutig eine der besser gestellten und gebildeteren Familien der Gemeinde. Alle sprechen einwandfrei Spanisch, kennen das Leben in der Stadt und haben obendrein einen köstlichen Humor. Tat der Bauch nicht ohnehin schon vor Fülle weh, so schmerzt er spätestens jetzt von Lachen. Trotz der Aufgeschlossenheit legen alle in der Familie großen Wert auf die Bewahrung ihrer Kultur. Die Frauen tragen selbstverständlich die Maya-Tracht und zahlreiche Familienmitglieder sind im Kulturkommitee der Gemeinde engagiert. 




Zurück im Gemeindezentrum, der Unterkunft von Agustín, Estela und Mariza, geht nichts mehr. Erschöpft fallen wir auf das Matrazenlager, müde vom Essen, den Begegnungen, den Wegen, aber glücklich. Die siesta ist unvermeidlich. Viel ist an diesem Tag nicht mehr mit uns anzufangen und glücklicherweise ist für den Nachmittag auch nichts mehr geplant. Zwei Stunden später, erfrischt und noch halb benommen, versammeln wir uns auf der Terasse und schlürfen nach alter argentinischer Tradition einen heißen Mate. Agustín und Estela sind, wie vermutlich jeder echte Argentinier, förmlich süchtig nach diesem bitteren und belebenden Kräutergetränk und schleppen das yerba mate kiloweise bis ans Ende der Welt. Und ich muss sagen hier in der späten Nachmittagssonne mitten im Hochland des Quiché kann man direkt auf den Geschmack kommen.
 Ich brauche Luft und Ruhe. Seit ich hier bin habe ich die Menschen beobachtet, die sich allein oder in kleinen Grüppchen an den Rand des Dorfplatzes setzen, um das Neueste auszutauschen oder einfach zu schweigen. Ich bin neugierig und will es ihnen gleich tun. Ich setze mich auf die untersten Stufen des Marktgebäudes, blicke in die langsam sinkende Sonne und lausche dem unverständlichen Gemurmel der Menschen. Ich werde eins mit dem Platz, den Bergen, der Menschheit, der Sonne, der Erde. Ein Geheimnis, das ist Maya.
Langsam füllt sich der Dorfplatz. Auf vollbeladenen Pickups kommen Bewohner der umliegenden Dörfer an, die in Chwikaqá die Kartage mitfeiern wollen. Die Abendsonne lässt die wunderschönen Trachten der Maya Frauen in sanftem Gold erstrahlen. Gemeinsam mit den ruhigen Klängen aus einer Musikanlage lässt sie die Plaza in einer einzigartigen Melancholie versinken. 
Ich schrecke hoch als die Soldaten im Stechschritt die Plaza betreten. Im Licht der Fackeln glänzen ihre Helme. Sie suchen einen Jesus von Nazaret, finden ihn im Kreis seiner Jünger und verhaften ihn begleitet vom Gebrüll der Menge. Wie in vielen Gemeinden Lateinamerikas, hatten die Jugendlichen eine Darstellung der Passion Christi vorbereitet. Die Idee war es, kleine Episoden zu präsentieren, entsprechend dem jeweiligen Tag. Heute Abend stand neben der Gründonnerstagsmesse das letzte Abendmahl und die Verhaftung im Garten von Gethsemane an. Waren die Dorfbewohner zunächst skeptisch gegenüber diesem Pilotprojekt der Jugendgruppe, stockt ihnen bald der Atem und sie werden mitgerissen im Strudel der Geschichte. Nach der Messe mit Fußwaschung sollte es eine zweistündige eucharistische Anbetung in der Kirche geben. Da dies nicht gerade meine bevorzugte Form der Spiritualität ist, ziehe ich es vor auf dem Platz vor der Kirche einen warmen Apfelpunsch zu trinken. Es ist bereits wieder sehr kalt. Ich sauge diese Momente mit den Kindern, den Señoras und Señores auf der spärlich beleuchteten Plaza, die Gespräche, die Farben, das Lachen förmlich in mich auf. Wer weiß wann sie wieder kommen.
An diesem Abend schlafe ich gut ein, schlafe tief und weiß ich bin ein Teil vom Einen.



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