Donnerstag, 4. April 2013

Guatemala, ewiges Land der Maya (Teil 1)

Die dritte kalte Dusche des Tages, abends kurz vor 11. Ohne sie ist heute kein Schlaf zu finden. Als ich abgekühlt in die immer noch schwüle Abendluft trete weiß ich, ich bin zurück in meiner kleinen neuen Welt in der Calle del Mediterráneo. Hinter mir liegen Tage, die wie aus einer anderen Zeit, von einem weit entfernten Ort zu stammen scheinen. Ich durfte die Ostertage in einer kleinen Maya-Gemeinde namens Chwikaqá verbringen, in einer Familie leben, herzliche Menschen und eine so bezaubernde Kultur kennenlernen. Um dem Erlebten gerecht zu werden und davon ausführlich zu berichten, will ich mir einige Zeit nehmen. Mit einem einzigen Blogeintrag ist es nicht getan. In den kommenden Tagen werde ich versuchen, so gut ich kann und soweit es mir das Studium, das immer anspruchsvoller wird, erlaubt, alles niederzuschreiben.
Heute das erste Kapitel...

Stille, Frieden, Harmonie. Diese Luft atme ich hier und heute. Keine aufjaulenden Busse, kein Stimmengewirr, keine drückende Hitze. Nur frische, kühle Bergluft, die noch, wenn man ganz leise ist, einen letzten Hauch von Morgentau erahnen lässt.
Gestern Abend spät kamen wir hier im CEFAS an, einem Bildungs- und Exerzitienzentrum der Jesuiten in den grünen Hügeln außerhalb von Guatemala Stadt. Unsere erste Zwischenstation auf dem Weg zu den Mayas. Empfangen wurden wir von einer Familie von gut 50 Männern und Frauen allen Alters, aus 19 verschiedenen Nationen. Die meisten sind Ordensleute verschiendenster Kongregationen, einige sind Laien. Sie alle sind aus den unterschiedlichsten Lebenssituationen hierher gekommen, um sich eine Auszeit zu nehmen, und an einem viermonatigen Kurs zur Persönlichkeitsentwicklung und psycho-spirituellen Bildung teilzunehmen. Sie engagieren sich in den umliegenden Gemeinden und begleiten Menschen. Ein schöner Ort.
Als ich gerade so über diese Schönheit und Harmonie des Ortes nachsinniere werde ich abrupt aus meiner Illusion gerissen. Man berichtet uns, dass zwei Tage zuvor eine Mitarbeiterin des örtlichen Rathauses an ihrem Arbeitsplatz kaltbütig niedergeschossen worden war. Sie war Sprecherin der regionalen Arbeitergewerkschaft und hatte sich für die Menschenrechte stark gemacht. Man vermutet, dass dies mit der Tat zusammenhängt. Ein Fall von vielen. Die Schwester des Opfers arbeitet in der Verwaltung des CEFAS. Die Frau hinterlässt einen zehnjährigen und einen sechszehnjährigen Sohn, die beide diese Tage im CEFAS bei ihrer Tante verbringen, um das Geschehene fürs erste zu verarbeiten. Auch heute noch bricht in diesem scheinbaren Paradies Mittelamerika, das man aus den Urlaubskatalogen kennt, immerwieder die grausame Realität den Frieden und bohrt sich wie ein rostiger Nagel wieder und wieder in mein Bewusstsein und noch tausendfach schmerzhafter ins Fleisch dieses gekreuzigten Volkes. Ein Volk, das gelernt hat sich kaum noch zu erschüttern angesichts der Normalität und Alltäglichkeit von Gewalt und Grauen.
Doch genug davon. Ich will auch von den schönen Seiten dieses Landes und seinen Menschen berichten.
Am Montagnachmittag unternahmen wir einen Ausflug in die benachbarte und wunderschöne alte Kolonialstadt Antigua. Sie trägt diesen Namen, weil sie die frühere Hauptstadt Guatemalas war. Von zahlreichen Erbeben und Vulkanausbrüchen über Jahrhunderte immer wieder in Schutt und Asche gelegt, beschloss man irgendwann eine neue Hauptstadt am jetzigen Standort zu erbauen. Heute ist Antigua am Fuße von immer noch aktiven und beeindruckenden Vulkanen zu einem regelrechten Touristenmagneten geworden. Alte Kolonialarchitektur in warmen, andalusischen Farben und Menschen in traditionellen Mayatrachten verschmelzen mit den mächtigen Ruinen der Kathedrale zu einem Ort mit von besonderem Zauber. Nur wenige Stunden konnten wir hier verbringen, bald brach schon der Abend herein, aber ich bin zuversichtlich wieder einmal hierher zurückzukehren.






Am Mittwochmorgen brechen wir, meine Mitstudentin und Ordensschwester Estela, Mariza, eine kroatische Ordensschwester und Agustín, Jesuitenpater aus Argentinien, mit einem treuen und tapferen VW Polo ins guatemaltekische Bergland auf. Der erste Ziel der Reise ist das Dorf Santa María Chiquimula auf gut 2100m Höhe. Die Jesuiten betreiben dort die örtliche Pfarrgemeinde. Die Reise führt uns zunächst über die Carretera Panamericana, der "Autobahn", die von México bis Feuerland führt, Richtung Norden. Vorbei fliegen grüne Hügel und trockene Maisfelder. Je höher wir kommen desto karger wird die Vegetation. Wo zuvor Pinien wuchsen, stehen bald nur noch vereinzelte Kiefern. Bei der Rast auf einer Passhöhe fällt das Atmen schwer, kein Wunder bei deutlich über 3000m über dem Meer. Erinnerungen an meine gliebten Anden werden wach. Nach der Abzweigung Richtung San Francisco del Alto werden Fahrbahn und Ausschilderung abrupt bescheidener. In der nächsten Orstschaft beugt sich Fahrer Agustín aus dem Fester und ruft einer traditionell gekleideten Frau zu "Guten Morgen, hallooo, können sie mir den Weg nach Santa María sagen?". Die Frau blickt ihn mit weit geöffneten Augen schweigend an. Estela, ebenfalls Argeninierin, weist Agustín sogleich deftig zurecht: "Du bist hier doch nicht in Buenos Aires, wo man einfachso jeden auf der Straße anhauen kann! Die arme Frau kann wahrscheinlich nicht einmal Spanisch!" Zunächst betretenes Schweigen, darauf ein herzhaftes Lachen von uns allen. Im Bergland Guatemalas ist die spanische Sprache nicht sehr verbreitet, und besonders Frauen, die häufig noch immer keinen Zugang zu Schulbildung haben sprechen lediglich eine der unzähligen Maya-Sprachen und sind kulturell bedingt sehr zurückhaltend Fremden gegenüber.
Schließlich finden wir den Weg in das beschauliche Bergstädtchen Santa María Chiquimula, mit seinen rund 4000 Einwohnern doch noch. In dem ehemaligen Franziskanerkloster aus der Kolonialzeit werden wir bereits mit einem herzhaften Mittagessen erwartet. Die Zeit drängt. Noch vor Einbuch der Dunkelheit wollen wir die Maya Comunidad Chwikaqá, wo wir die kommenden Tage verbringen würden, erreichen. Für einen kleinen Stadtrundgang durch die schmalen Gassen und über den Wochenmarkt, der sich über das gesamte Zentrum erstreckt, bleibt jedoch Zeit. Erst jetzt wird mir der Kontrast zu El Salvador und den Städten der Küste wirklich bewusst. Eine Vielzahl von Gerüchen, wunderbar gemusterten Stoffen, großen Augen und relativ kleinwüchsigen Menschen strömen mir entgegen. Wie auf Märkten dieser Art üblich, wird hier alles verkauft und gerade in den letzten Tagen der Semana Santa vor dem Osterfest sind die Straßen gefüllt mit geschäftigen Leuten. Eine Andersheit die ich immerwieder gerne genieße und von der ich mich aufsaugen lasse.


Knapp eineinhalb Stunden Weg liegen noch vor uns nach Chwikaqá, auf ca. 2500m Höhe. Asphaltstraßen sucht man hier vergeblich. Und auch die ausgefahrene Staubpiste ist auf keiner Landkarte zu finden. Aus diesem Grund hatte man uns in Santa María einen genauen Plan gezeichnet, begleitet von ausführlichen Erklärungen. Von nun an hieß es nicht mehr Schildern folgen, sondern, Kurven, Brücken und Abgründe zählen. Über Berg und Tal heizte Agustín den kleinen Polo, der im ersten Gang aufheulte und sich tapfer den letzten Anstieg hinaufkämpfte. Am späten Nachmittag machen wir die ersten Häuser und die Funkmasten auf der Anhöhe aus und befinden uns, ehe wir uns versehen, mitten auf dem Dorfplatz von Chwikaqá.
Hier und dort sitzen einige Männer und Frauen vor den Hauseingängen in den letzten Sonnenstrahlen dieses Mittwochs. Eine ältere Frau versucht beharrlich ihre kleine Schafherde, die auf die Plaza ausgebüchst zu sein scheint, zusammenzutreiben.

Chwikaqá wird sind gespannt auf dich...

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