Freitag, 15. Februar 2013

"Willkommen Fernando Sebastián!" und "Am Fusse des Santa Ana"

 
 
 
Huiiii... jetzt ist doch tatsaechlich schon wieder eine Woche vergangen seit meinem letzten Eintrag und das, obwohl ich mir eigentlich vorgenommen hatte gerade am Anfang oefter zu schreiben, da gerade so viel passiert und in meinem Kopf herumspukt, dass ich es kaum alles zu Papier bzw. Blog bringen kann. Aber eben diese Flut von Eindruecken und Informationen von der mir gelegentlich geradezu schwindelig wird halten mich jedes mal davon ab die Ruhe zu finden und mich ins "Ciber" (Internet Cafe) zu setzen, um etwas zu schreiben. Jetzt halt wieder mal geballt... :) Denn so einiges ist passiert in den vergangenen 7 Tagen. Meine Gastfamilie hat Nachwuchs bekommen, ich hatte bereits die Gelegenheit dem Hauptstadttrubel kurz zu entkommen und einen Einblick in das laendliche El Salvador zu bekommen, ich bin auf dem besten Weg mich an der Uni einzuschreiben und... ich habe ein Zimmer in unmittelbarer Naehe des Campus gefunden!

Zunaechst die beste und vielleicht erwartetste Nachricht. Am vergangenen Freitag vormittag wurde Fernando Sebastian, der Sohn von Mario und Nomra, bei denen ich nach wie vor wohne, geboren. Der kleine kam putzmunter mit einer Groesse von 47cm und wohl genaehrt zur Welt (genaueres ueber das Gewicht kann ich derzeit noch nicht sagen, da man hier in "libras" misst, einer Einheit mit der ich noch nicht sehr vertraut bin). Da es eine Kaiserschnittgeburt war mussten Mutter und Kind noch bis Montag im Krankenhaus bleiben. Lorien, die siebenjaehrige Schwester Fernandos musste sich auch bis Montag gedulden bis sie ihr Bruederchen endlich sehen konnte, da Kinder auf der chirurgischen Station nicht eingelassen wurden, was ihr wahrlich nicht leicht viel. Seit Freitag sprang sie wie entfesselt im ganzen Haus umher, trommelte auf ihren Papa ein und rief mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht: "Er ist endlich rausgekommen! Lasst ihn uns heimbringen!" Ich selbst durfte zusammen mit Mario am Sonntag Norma, der es schon wieder besser ging, und "Fer" im Krankenhaus besuchen. Wow... noch nie zuvor hatte ich sooo ein kleines Menschchen auf dem Arm gehalten. Es war beeindruckend und ich freu mich so sehr fuer die Familie, die mir in diesen wenigen Tagen bereits so sehr ans Herz gewachsen war. Das Wochenende verbrachte ich also zumeist mit Mario und Lorien zu Hause und versuchte zu helfen wo ich konnte, um den Haushalt auf Vordermann zuhalten und ein gewisses emotionales Gleichgewicht wiederherzustellen, denn Mario war diese Tage nicht viel weniger entrueckt als Lorien und zudem musste er auch noch Arbeiten gehen, er nannte mich beispielsweise andauernd versehentlich Fernando oder Sebastian. Letztlich haben wir alles gut hingekriegt und am Montag Nachmittag kamen Norma und Fernando endlich nach Hause und ein neues Kapitel im Leben der Familie konnte beginnen. Die Naechte sollte fortan belebter werden und Lorien war nach sieben Jahren ploetzlich kein Einzelkind mehr, was sie beim Anblick ihres lang erwarteten Bruederchens jedoch sehr gut wegsteckte. Was den Laerm betraf, hatten wir die vergangenen Tage und Naechte ohnehin nicht viel mehr Ruhe gehabt, da die oeffentliche Wassergesellschaft gerade die Wasserleitungen in unserer Strasse austauschen laesst und ein ganzes Batallion von Bauarbeitern von 6.30 morgens bis tief in die Naechte hinein  die Strasse aufreisst und wieder verschliesst nur um sie am naechsten Tag erneut aufzureissen.Neben einem Hoellenlaerm, der einen kaum sein eigenes Wort verstehen laesst und einer Satubschicht die nach und nach die ganze Strasse und das ganze Haus unter sich begraebt, ist ein weiterer Nebeneffekt der Bauarbeiten, dass tagsueber praktisch nie Wasser aus Leitung kam. Man muss allerdings anerkennend sagen, dass die Bauarbeiter trotz bruetender Hitze, brennender Sonne und viel Handarbeit hoechst effizient und schnell gearbeitet haben und mittlerweile alles wieder ordentlich verschlossen ist und das Wasser fliesst.
Dass Norma und der kleine Mann zu Hause sind, sprach sich natuerlich in Windeseile herum, sodass am spaeteren Nachmittag des Montag das ganze Haus bevoelkert war von Grosseltern, Tanten, Cousinen und Freunden, die den Nachwuchs willkommen heissen wollten. Es wurde Kaffee, Saft und Cola uasgeschenkt, man ass Gebaeck, fachsimpelte, bestaunte den Kleinsten in der Wiege, der sich vo lauter Aufmerksamkeit genuesslich raekelte, und schauekelte ihn kraeftig auf den Armen. Alle waren sie gluecklich und auch die Mutter, noch immer etwas mitgenommen von der OP und der neuen Herausforderung, laechelte voll Freude.


Fernando Sebastían - 3 Tage

 

 Die glueckliche Familie

 Das heissersehnte Bruederchen ist da!

Flashback. Am letzten Sonntagvormittag, als der kleine Fernando noch im Krankenhaus war, musste Mario auch wieder arbeiten. Als Fachkraft im psycho-sozialeen Dienst  beim salvadorianischen Roten Kreuz gehoerte auch die Ausbildung neuer Freiwilliger fuer den Bergungs- und Sanitaetsdienst zu seinen Aufgaben. An diesem Wochenende fand ein erstes Ausbildungscamp im "Parque Nacional de Cerro Verde" am Fuss des Vulkans Santa Ana etwa zwei Autostunden ausserhalb von San Salvador, statt. Mario bot mir an ihn zu begleiten und so etws mehr von Land und Leuten kennenzulernen. Da seine Einheit fuer den Vormittag geplant war, mussten wir recht frueh aufbrechen. Um 5.30 lieferten wir Lorien bereits bei ihren Grosseltern ab und machten uns auf den Weg zur Zentrale des Roten Kreuzes im Stadtzentrum, um noch andere Kollegen zu treffen. Von dort ging es dann weiter in einem allradbetriebenen Rettungswagen, einem Toyota Landcruiser durch die Vororte in La Libertad, Santa Tecla, vorbei an Sonsonate bis wir schliesslich das "campo" mit seiner frischen Landluft erreichten. Ueber eine schmale Landstrasse ging es zunaechst vorbei an Zuckerrohr- und Maisfeldern, bis der Weg schliesslich stetig anstieg und der Landcruiser so seine Muehe hatte sich ueber die kurvige und steinige Piste den Berg immer weiter nach oben zu quelen. Die wunderschoene Silhuette des Vulkans Santa Ana und seiner Schwesterspitzen, dem Vulkan Izalco und dem Cerro Verde, war bereits aus der Ferne zu erahnen. Nun erklommen wir den ausladenden Bergruecken Stueck fuer Stueck. Alle paar Kilometer standen einige Haeuser am Strassenrand vor denen sich Feldarbeiter, Haendler und Reisende tummelten um auf den naechsten Microbus in die Stadt zu warten. Noch weit vom Gipfel des mit ueber 2.300m hoechsten Vulkans des Landes entfernt, beginnt, doch auch schon auf gewisser Hoehe, der "Parque Nacional de Cerro Verde". Das Klima ist hier deutlich kuehler als im Flachland und ich bin fuer diese frische Morgenluft sehr dankbar, aber auch froh ueber mein zusaetzliches Hemd.


Der Izalco, der Cerro Verde und der Santa Ana

 
 

Die Freiwilligen bei einer Auflockerungsuebung
Mario bei der Arbeit
 
Inmitten dieser abgelegenen subtropischen Berglandschaft erreichten wir schliesslich das Trainingscamp des Roten Kreuzes. Etwa 50 junge und auch aeltere Erwachsene waren am Vortag mit ihrem Gepaeck und Sandtaschen in ihren Rucksaecken stundenlang hier hinauf gewandert, ein Ausdauermarsch und Teil der Grundausbildung. Betreut wurden sie von erfahrenen Fachkraeften von der Bergrettung, der Strassen- und der Katastrophenschutzeinheit. Die Ausbildung dauert insgesamt ein Jahr und ist ueber mehrere Workshopwochenenden verteilt. Ich bin beeindruckt wie sich so viele junge Menschen, die teilweise aus sehr einfachen Verhaeltnissen kommen, taeglich hart fuer ihren Lebensunterhalt schuften muessen und oft nicht einfachen sozialen Realitaeten ausgesetzt sind, mit soviel Eifer, Freude und Ausdauer fuer ihre Mitmenschen einsetzen. Wir kommen gerade rechtzeitig fuer die charlas psico-sociales, das Arbeitsgebiet von Mario, wo die Freiwilligen lernen sollen mit Stress und brenzligen Situationen bei Einsaetzen umzugehen. Mario hoert sich mit viel Feingefuehl und Empathie die Erfahrungen der Neulinge an. Auch spaeter wird er sie bei ihrer Arbeit stets psychologisch begleiten. Er selbst hat jahrelang fuer den Rettungsdienst des Roten Kreuzes gefahren und weiss somit was die Retterinnen und Retter bewegt. An diesem Sonntag steht hauptsaechlich Krisenintervention an. Bei der Wanderung am Vortag war eine Teilgruppe von Freiwilligen, die auf dem Weg etwas zurueckgefallen war, von zwei bewaffneten Dieben ueberfallen und ausgeraubt worden. Da keiner der Gruppe Widerstand geleistet hatte und alle zaehneknirschend ihre Handys und das Kleingeld, das sie mitfuehrten, herausgaben ist gluecklicherweiser nichts ernsteres passiert. Dennoch kochte es an diesem morgen noch immer in der Gruppe, der Schrecken sass noch tief. Diese Art von Kriminalitaet ist leider keine Seltenheit in El Salvador und in Mittelamerika und hat ihre Wurzeln tief in der Geschichte und der Sozialstruktur des Landes. Wenn man sich jedoch der Situation angemessen verhaelt und keinen Widerstand leistet hat man in der Regel jedoch nichts zu befuerchten. Dennoch, Aufmerksamkeit und Vernunft sind immer gefordert. Ueber die Kriminalitaet und die bewegte Geschichte des Landes werde ich bei Gelegenheit noch ausfuehrlicher berichten. Soweit jedoch kein Grund zur Beunruhigung.
Gegen Mittag machten wir uns schliesslich alle gemeinsam mit den Freiwilligen wieder auf den Rueckweg nach San Salvador. Da nun auch alle Betreuer transportiert werden mussten und der Toyota Landcruiser somit voll war blieb uns nur noch Platz auf einem alten Mercedes Benz Rotkreuz LKW, schaetzungsweise aus den fruehen 70er Jahren. Mario meinte nur lachend: "Der ist noch aus der Zeit vor dem Buergerkrieg." Ein einziartiges Gefaehrt auf dessen Ladeflaeche wir es uns zusammen mit den vom Wochenede erschoeften Freiwilligen "bequem" machten. Ladeflaechen sind ein recht gaengiger Ort, wenn man in Mittelamerika auf Reisen ist, sei es auf Pick-ups, Kleintransportern oder eben grossen LKWs. So kehrte ich also staubig und schwitzend, aber erfuellt von der Schoenheit dieses Landes und beeindruckt von der Ausdauer und Hoffnung seiner Menschen nach San Salvador zurueck und lernte die Hauptstadt auch aus dieser echt salvadorianischen Perspektive kennen, der Ladeflaeche eben. Und ausser einem geplatzten Reifen mitten im Stadtzentrum von San Salvador zwei Strassen vom Rotkreuz-Zentrale entfernt tat der alte Benz wie immer treu seinen Dienst.
Das Ungetüm
 
Reisen auf mittelamerikanisch
 


 
Da nun gleich Norma, Mario, Lori und Fer von einem Kontrollbesuch beim Arzt heimkommen werden und ich noch frischen Orangensaft besorgen wollte, muss ich hier nun doch unterbrechen. Ist auch schon wieder recht lang geworden...
In den kommenden Tagen werde ich mir dann wieder Zeit nehmen, um von meinen ersten Eindruecken an der Uni und meiner erfolgreichen Zimmersuche zu berichten, dann mit eigenem W-LAN und ohne die Laermkulisse von den Ballerspielen und FIFA videogames der Halbwuechsigen im Hintergrund.

Bis dahin, muchos saludos y rayos de sol desde San Salvador al mundo...


PS: Fernando hat soeben den letzten Ueberrest seiner Nabelschnur verloren! :) 

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